"Wir dachten nie, dass wir als Androiden enden würden." Das waren die verwirrten, aber amüsanten Worte von Paul McCartney auf der E3 in Los Angeles in diesem Sommer, als The Beatles: Rock Band offiziell präsentiert wurde. Es war unwahrscheinlich, dass jemand ein anständiges Musikspiel aus den Beatles machen würde, sogar für Harmonix. Aber jetzt, da das Androiden-Quartett unsere Konsolen erreicht hat, wird es deutlich: Videospiele als Medium wurden nie ernster genommen als in diesem Moment. Die Beatles, in einem Videogame. Mal ehrlich! Wahnsinn.
Harmonix hat The Beatles: Rock Band offensichtlich als renommierte Mission begriffen. Das Projekt glänzt durch extra viel Fürsorge, durch Willen zur Nachforschungen und Liebe zum Detail. Es ist bemerkenswert, wie Paul, Ringo und die Witwen der anderen Beatles inhaltlich beigetragen haben müssen. Das Game atmet Beatles und Rock-Geschichte, was es über jedes andere Musikspiel erhebt. Statt stereotyper Rocker gibt es eine echte, ja die wirkliche Superband im Paket. Ein bisschen wie Guitar Hero: Metallica ist das, aber wer wie ich das Weiße Album dem Schwarzen immer vorgezogen hat, findet The Beatles: Rock Band interessanter. Nur persönlicher Geschmack vielleicht, aber wir sprechen hier ja nicht über irgendeine Band. Das sind die Typen, die für Phänomene wie Musik-Videos, Konzeptalben, Rückwärtsaufnahmen und Stadionpop verantwortlich sind. Und für große Songs, natürlich...
Nummer-Eins-Hits machen aber noch kein großartiges Musikspiel aus, und das hier ist keine Rezension der Musik der Beatles, sondern eine darüber, wie gut sie und die Band in einem Musikspiel funktionieren. Wir dürfen die erstaunliche Karriere der Liverpooler Jungs in einer zeitlichen korrekten Reihenfolge nachspielen: von harmlosen Schlagern, über Sgt. Pepper und Schnurrbart-Psychedelia bis hin zu Hippie-Bärten. Als Rahmenhandlung ist das super, und wegen der vielen Genres, die die Beatles erprobten (oder erfanden), wirkt die Trackliste trotz ihres Alters immer noch frisch.
Ich meine, mal ehrlich - es ist doch schon klar, was gemeint ist, oder? Revolution, Day Tripper, I am the Walrus, Get Back und I've Got a Feeling auf einer Scheibe! Normalerweise findet man in einem Musikspiel fünf Lieder gut, mit Glück. Und hier kriegen wir 45 davon. Klar, dass ist insgesamt nur die Hälfte von Rock Band 2, aber da kein einziges ein Lückenfüller ist, sollte das als Ausgleich genügen. Dass so vielen Liedern eine einzigartige Kulisse gewährt wurde, ist extrem luxuriös. Wenn wir etwa die Studio-Ära der Band ab 1966 erreichen, blühen die Hintergrundanimationen auf und werden zu etwas Außergewöhnlichem - zu LSD-geschwängerten Fantasie-Landschaften (Harmonix nennt sie Traumwelten) als surrealistische Kulisse. Nachdem wir die Hälfte des Spiels gerockt haben, sind sie da endlich, die "caleidoscope eyes"...
Wer nach einminütigen Trommel-Soli und intensiver Gitarrenmasturbation sucht, wird das in The Beatles: Rock Band nicht finden. Viele haben sich im Vorfeld trotzdem Sorgen über den Schwierigkeitsgrad des Games gemacht. Ist es nun schwierig? Ja und nein. Es hängt davon ab, über welches Instrument wir reden. Die Gitarren ist ziemlich einfach, ein Fünf-Sterne-Run ist hier eher das Standardprogramm. Lieder wie Birthday oder Revolution auf dem höchsten Level sind aber ziemlich anspruchsvoll.
Die dreistimmigen Harmonien bilden die tollste Ergänzung des Franchise - und sind eine echte Herausforderung. Drei Menschen können die Last (oder die Freude) des Singens teilen und entweder der Leitstimme folgen oder die Harmonien an bestimmten Stellen im Song übernehmen. Selbst wenn nun drei Leute singen, zählen die als eine Person. Das Tempo in Songs wie Day Tripper zu dritt richtig zu treffen verlangt ernsthaftes Training - aber es lohnt sich, wenn man es im Trio hinkriegt!
Wen ein Gefühl der Leere kommt, nachdem das letzte Konzert auf dem Hochhaus absolviert ist - nicht verzweifeln. Harmonix arbeitet daran, komplette Alben als Download anzubieten, bereits in diesem Herbst. Abbey Road kommt zuerst, dann Rubber Soul und Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band im November und Dezember. The Beatles: Rock Band hat zudem reichlich Bonus-Material wie Filmclips, Fotos und Halbwissen über die Band.
So gibt am Ende es nichts anderes zu tun, als Harmonix eine Runde Extra-Applaus zu geben dafür, dass sie eine der größten Herausforderungen in der Videospiel-Geschichte erfolgreich absolviert haben. The Beatles: Rock Band gewährt dazu sogar noch einen ehrlichen Rückblick, nicht nur in die Sechziger Jahre und die Musikgeschichte, sondern auf das letzten Jahrzehnt der Videospiele. Das 00er-Jahrzehnt ist das der Partyspiele, des Booms und des Mainstreams. Videospiele sind Pop geworden, im positiven Sinn. So gesehen ist The Beatles: Rock Band ein prägendes Spiel für diese Dekade. Vielleicht sogar das Wichtigste!