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Civilization VI

Civilization VI

Bengt hat sich einige Nächte mit Civilization VI um die Ohren geschlagen, weil der Zwang, nur noch „eine" weitere Runde zu spielen, einfach immer zu stark war.

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Auf dem ersten Blick mag Civilization VI sehr bekannt wirken und ehrlicherweise stimmt das auch ein bisschen. Das Konzept ist gleich geblieben, doch jede Facette hat seinen eigenen Beigeschmack erhalten und das Spiel bietet ein paar neue und veränderte Mechaniken, die man lernen muss, um sie zu seinem Vorteil zu nutzen. Es gibt eine Schnellspiel-Option, die es uns erlaubt, mit einer zufälligen Zivilisation auf einer kleinen Karte zu spielen. Das ist eine nette Abwechslung, aber ich spiele am liebsten lange Partien mit einer bestimmten Fraktion auf einer großen Karte.

Insgesamt bemerkt man sofort, wie viel Arbeit ins Spiel investiert wurde, denn jede Aktion fühlt sich wichtig an. Weniger Micromanagement, weniger Automatisierung, dafür intelligentere und bedeutsame Entscheidungen. Die Änderungen beim Baumeister sagen schon einiges: Die Einheit ist jetzt auf drei Feld-Verbesserungen beschränkt, kann aber zum Beispiel durch Politik verbessert werden. Dadurch werden die Ausbaustufen insgesamt bedeutsamer und mit den neuen Distrikten (mehr dazu später) muss man gleichzeitig weniger Felder verstärken.

Auch die Wunder und Persönlichkeiten wurden verändert. Wunder benötigen jetzt ein eignes Feld und Städte absurd aufzuleveln funktioniert auch nicht mehr. Es ist realistischer und sorgt dafür, bestimmte Felder und manchmal auch Religionen für sich beanspruchen zu müssen. Manche Wunder haben extrem starke Effekte, die Hängenden Gärten geben beispielsweise einen Wachstumsbonus von plus 15 Prozent auf Städte.

Civilization VICivilization VI
Eigentlich sind alle Zivilisationen übermächtig, wenn sie richtig gespielt werden, aber dafür müssen wir ihre anfänglichen Stärken ausspielen.
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Die Trennung des Technik-Baums in Technik und Zivilisation ergibt viel Sinn. Das hat den Zwang, die Politik tatsächlich an die aktuellen Begebenheiten anzupassen, was weitere Spieltiefe bringt. Außerdem lässt sich dadurch der Fokus des gesamten Imperiums relativ schnell ändern. Das spricht für den neuen Tiefgang des Gameplays von Civ VI - es stehen einem so viele Dinge zur Verfügung, das man selbst nach über 30 Stunden immer wieder neue Ebenen und Nuancen entdeckt, die man zu seinem Vorteil nutzen kann.

Die Barbaren wurden ebenfalls verändert und senden nun Scouts aus ihren Camps los. Wenn sie unsere Städte entdecken und nicht rechtzeitig ausgeschaltet werden, kommen sie mit Verstärkung wieder. Um Schlimmeres zu verhindern, sollten die Spähtrupps so schnell wie möglich unschädlich und ihr Lager dem Erdboden gleichgemacht werden. Das ist natürlich nur eine weitere Facette, die das Spiel im Grunde kaum beeinflusst - und doch verändert sich dadurch meine Wahrnehmung auf dieses Völkchen.

In Civilization VI bauen wir Distrikte um die Felder unserer Stadt, in der wir uns auf Wissenschaft und Kommerz konzentrieren. Gebäude die zu einem spezifischen Distrikt gehören, werden dort ebenfalls gebaut. Das bedeutet auch, dass sie geplündert oder zerstört werden können. Distrikte geben der Umgebung Boni - da gibt es viel zu bedenken und man hat nicht genug Platz um jeden Distrikt in jeder Stadt zu bauen, denn es gibt ja noch die Wunder und die normalen Verbesserungen der Felder.

Die Stadtstaaten wurden nun verbessert und Vermittler sind ein schöner Ersatz für den diplomatischen Sieg. Die erhält man durch das Sammeln von Punkten oder durch die Stadtstaaten-Missionen. Vermittler bringen diverse Boni, je nach Stadtstaat Gold, Kultur oder Glauben und eben auch Unterstützung im Krieg. Da auch die anderen Zivilisation Gesandte haben, ist es ein nettes Mini-Spiel; ein Rennen darum, in welchem Stadtstaat man am meisten investiert. Natürlich ist es auch möglich, als Pazifist zu spielen, aber früh aggressiv zu sein und ein paar einfache Kriege zu gewinnen, hilft dabei, unseren Fortschritt und dem eigenen Stand im Spiel zu sichern. Die Gelegenheiten, schon früh zu wachsen und einflussreicher zu werden, sind jedoch ebenfalls da.

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Civilization VICivilization VI
Mir haben die Filter, Kartenansichten und die Art, wie die Wunder jetzt eigene Felder besetzen, sehr gefallen.
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In meinem Spiel machten sich Kleopatra und Ägypten über meine fehlende Armee lustig (ich hatte meinen Fokus auf Wissenschaft und Kultur) und waren verärgert über meine Expansion, die ihr Imperium abgeschnitten hat. Kleopatra hatte eine ganz ordentliche Armee, die hauptsächlich aus Kämpfern bestand und mit meiner brummenden Wirtschaft war es leicht, einige Bogenschützen auszubilden und es kam schnell zu gewinnreichen Friedensverhandlungen. Als dieser Krieg vorbei war, erklärten Norwegen und Spanien mir überraschend den Krieg, aber keiner von ihnen hatte eine Invasion vorbereitet und ich hatte von meinem Scharmützel mit Kleopatra noch einige Einheiten übrig. Norwegen war tief im Süden keine Bedrohung, also machte ich mich auf nach Westen, um ihr Imperium auseinanderzunehmen. Schon bald stieß Norwegen an seine Grenzen, denn sie hatten zudem Probleme mit den Amerikanern und baten schließlich um einen Frieden, ohne auch nur einen einigen Pfeil abgefeuert zu haben.

Meine Überraschung war groß, als meine Freunde im Norden - die Russen, angeführt von Peter dem Großen sich mein Land unter den Nagel reißen wollten. Aber mein Land war groß und ich hatte eine Menge Veteranen-Einheiten. Trotz seines Flehens, machte ich dem Verräter ein Ende. Dadurch meldete sich Ägypten plötzlich wieder, aber mein Fortschritt bei den Technologien sorgte dafür, dass Kleopatras berittenen Bogenschützen es mit meinen Feldkanonen zutun bekamen. Ihre Hauptstadt wurde schnell übernommen und mit einem Friedensangebot überschrieb sie mir all ihr Gold und Luxusgüter. Die Machtbalance war so sehr gekippt, dass es nur noch darum ging wie ich das Spiel gewinnen wollte.

Das führt mich zu einem der negativen Aspekte des Spiels, denn die K.I. trifft manchmal eher seltsame Entscheidungen. Eine Überzeugende, perfekte K.I. zu entwickeln ist eine Herausforderung und letztlich würde eine perfekte K.I. wahrscheinlich fast immer alle Civ-Spieler von der Karte fegen. Davon ist der Computergegner weit entfernt, sie stoßen bereits in den mittleren Schwierigkeitsgraden (von denen es Acht gibt) auf ihre Grenzen. Vielleicht ändert das zukünftiger Patch, insgesamt schlägt sich die K.I. die meiste Zeit über aber recht gut.

Es gibt einige interessante Mechaniken bei Kampf, bei den eskortierenden Einheiten und beim Erstellen von Korps. Vieles beruht auf den Innovationen, die Firaxis mit Civilization Revolution eingeführt hat und diese Ideen haben die Kämpfe fokussierter und strategischer werden lassen - mit weniger Micromanagement. Aber das fühlt sich in diesem Kontext wirklich sehr ähnlich an, wie in Civ V und die echten Veränderungen finden sich an anderer Stelle.

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Die KI kommt stößt schon auf den mittleren Schwierigkeitsgraden an ihre Grenzen.

Die Zivilisationen sind variantenreich und haben ihre Eigenheiten, das hat sich über die Jahre so entwickelt. Eigentlich sind alle Zivilisationen übermächtig, wenn sie richtig gespielt werden, aber dafür müssen wir ihre anfänglichen Stärken ausspielen. Die Politik, Religionen und die Distrikte werden nur dafür benutzt, um die Lücken zu füllen. Es geht aber nicht nur darum, seine eigenen Stärken auszuspielen, sondern gleichzeitig die anderen Zivilisationen beim Ausnutzen ihrer Stärken zu behindern.

Die Religionen waren in Civilization V nur ein Nebenthema. Im sechsten Teil ist es ein fettes Feature, denn schnell eine eigene Religion zu gründen, ist eine gute Möglichkeit, die Gegenspieler auszumanövrieren. Allerdings ist dafür viel Micromanagement erforderlich. Ist sie erst begründet, soll sie sich ja auch verbreiten und dafür müssen Missionare und Apostel eingesetzt werden. Die haben eine beschränkte Anzahl an Aktionen, ganz wie die Baumeister - aber man bekommt ordentlich Glaubenspunkte, wenn man sich auf die Religion konzentriert. Dafür muss man sich auch um Horden von religiösen Einheiten kümmern. Wenn andere Herrscher die gleiche Idee haben, kommt es zu einem langatmigen Tauziehen um Städte ohne religiösen Hintergrund.

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Vermittler bringen diverse Boni, je nach Stadtstaat Gold, Kultur oder Glauben und eben auch Unterstützung im Krieg.

Noch ein paar Worte zur Präsentation. Mir haben die Filter, Kartenansichten und die Art, wie die Wunder jetzt eigene Felder besetzen, sehr gefallen. Dadurch wird die Landschaft jedes Mal einzigartig und bleibt auch nach mehreren Runden interessant. Die Anführer wirken nicht mehr so wie Pappaufsteller und auch wenn sie sich manchmal wiederholen, hat man das Gefühl, hier entstünden echte Beziehungen. Das liegt vor allem daran, wie sie präsentiert werden. Teddy Roosevelt wirkt vertrauenswürdig. Kleopatra ist verführerisch, aber auch kämpferisch - und die Anführer sprechen in ihrer eigenen Sprache. Sean Bean füllt die Leere, die Leonard Nimoy als Erzähler hinterlassen hat. Die Beiden lassen sich nicht vergleichen, aber Bean macht seinen Job gut und auf seine eigene Art.

Civilization VI ist ein Spiel, das man über Jahre spielen kann. Ich bleibe immer wieder kleben, wenn ein neuer Teil erscheint und es wird wohl noch ein halbes oder ganzes Jahr dauern, bis man wirklich weiß, ob es das bisher beste Civilization geworden ist. Das Potential ist auf jeden Fall da; mehr Tiefgang denn je und es spielt sich schneller als jemals zuvor. Das ist eine Kombination, die eine echte Leistung darstellt. Und während ein weiterer Morgen anbricht, plane ich schon wieder meine nächste Session mit dem Spiel.

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09 Gamereactor Deutschland
9 / 10
+
Gewalige Spieltiefe, viele nette Verbesserungen, weniger Micromanagement, brilliante Minispiele mit den Stadtstaaten, Die Veränderungen im Tech-Baum und in den Zivilisationen sorgen für eine flexible und starke Spielerfahrung
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Manchmal verhält sich die KI komsich, das Management der Religionen wird nach einer Weile anstrengend
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