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Eagle Flight

Eagle Flight

Frei wie ein Vogel zu sein ist einer der ältesten Träume der Menschheit. Mit der neuesten Spieletechnik wird er jetzt endlich Realität - zumindest virtuelle Realität.

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Kurz hinter dem Launchfenster von PSVR versorgt Ubisoft die Freunde der Spielehelme mit einem neuen, "großen" Titel. Eagle Flight hat nicht ganz den Umfang eines Vollpreis-Spieles und kommt deswegen netterweise im mittleren Preissegment auf den Markt.

Das Spielprinzip ist schnell erklärt: Nachdem die Menschheit sich aus undefinierten Gründen von unserem schönen Planeten verabschiedet hat, haben Tiere die Großstädte, in diesem Fall Paris, erobert. Wir nehmen die Rolle eines Adlers ein, der sich anschickt, den Luftraum der Stadt der Liebe zu erobern. Von einer netten Erzählerstimme begleitet schlüpfen wir in VR aus einem digitalen Ei und gleiten von da ab majestätisch über die zugewucherte, einstige Millionenstadt. Die Steuerung ist sehr eingängig, denn die Flugrichtung wird per Kopfbewegung gesteuert, wobei man engere Kurven durch das Neigen des Kopfes im Gegensatz zu einer Drehung bewerkstelligt. Man merkt, dass die Entwickler sich viele Gedanken zur Motion Sickness gemacht haben. Allein, dass man "gezwungen" ist, mit dem Kopf die visuell dargestellten Bewegungen "mitzugehen", hilft sehr einer Übelkeit vorzubeugen. Bei schnellen Drehungen werden außerdem die Ränder des Sichtfeldes abgedunkelt, das sowieso schon mit einem Körperansatz des Adlers und einem kleinen Rahmen "geerdet" wird. All das sind wertvolle Erkenntnisse auf dem Weg, schwindelfreien Spielspaß zu ermöglichen - und es funktioniert gut. So lässt sich Paris herrlich intuitiv erkunden.

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Das Gegen-die-Wand-Klatschen tut in VR schon fast physisch weh und die Erfahrung, kurz vor Ende noch einmal ganz von Vorne anfangen zu müssen, ist nervig.
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Die Grafik ist dabei in einem Comic-Look gehalten, der sehr gut funktioniert. Das Design erinnert thematisch bedingt an Spiele wie The Last Of Us und Crysis 3 - alles ist grün überwachsen, überall laufen ehemalige Zootiere herum, und die Gebäude haben viele Löcher, so dass man auch im Tiefflug gut navigieren kann. Landen kann der Adler aber leider nur in seinem Horst. Und Kollisionen führen sofort zu einem Schwarzbild und Neustart. Das kann vor allem in den eigentlichen Spielaufgaben manchmal etwas störend sein. Neben dem freien Erkunden der Stadt, in der Sammelgegenstände wie Federn verteilt sind, gibt es natürlich auch Missionen. Diese bestehen aus Sammelaufgaben, Rennen und später auch Luftkämpfen.

Bei den Rennen gilt es, durch Ringe zu fliegen - ein nicht gerade originelles Spielprinzip. Schon auf dem Commodore 64 haben uns Spiele wie Master of the Lamps und Aliens damit unterhalten und später machte der Nintendo-Klassiker Pilotwings diese Disziplin noch populärer. In Eagle Flight funktioniert das ähnlich gut, doch die Lernkurve ist ziemlich steil. Man wird schon recht früh in den U-Bahn-Tunneln von Paris mit einigem Frust konfrontiert. Das Gegen-die-Wand-Klatschen tut in VR schon fast physisch weh und die Erfahrung, kurz vor Ende noch einmal ganz von Vorne anfangen zu müssen, ist nervig. Es gibt nämlich im ganzen Spiel keine Checkpoints - und das ist ziemlich sinnlos, da die Leistungen sowieso noch mit bis zu drei Sternen bewertet werden. So hätte man den Adler, wenn er eine Wand streift, einfach verlangsamen können, ohne gleich einen Neustart zu erzwingen. Doch später wird es noch härter.

In den Luftkämpfen geht es nämlich darum, andere Vögel mit "Adlerschrei-Schallwellen" zu treffen. Das ist quasi nichts anderes als langsam feuernde und geradeausfliegende Raketen, während sich die Gegner mit "Luftwirbeln" (Minen) und später Schutzschilden verteidigen. Das ist inhaltlich reichlich weit hergeholt, macht aber sehr viel Spaß. Ein Abschuss kann sehr befriedigend sein und nicht zuletzt gibt es in diesen Luftkämpfen viele schöne Soundeffekte, die auch schon mal an die Tie-Fighter aus Star Wars erinnern können.

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Natürlich bietet das Spiel aufgrund seiner Herkunft gewisse Anklänge der "Ubisoft-Formel".

Doch auch hier macht sich anfangs der Frust breit, da die Gegner auch seitlich Schüsse abgeben können, was einem selbst erst nach dem Durchspielen der Story vergönnt ist. Außerdem ist die Kollisionsabfrage ein bisschen sehr pingelig und so sorgt ein Schuss, den man als knapp vorbeizischend wähnte, schon mal für das Aus. Zudem wird man vor feindlichen Schüssen zwar akustisch gewarnt, deren Position kann man aber nur erahnen. Und im Eifer des Gefechts fliegt man in einer engen Drehung manchmal gegen einen Turm oder in eine Luftmine, die man dann zu spät sieht. All das ist mit entsprechender Übung zwar kein Problem und auch die schweren Missionen lassen sich irgendwann locker meistern, doch die Lernkurve ist halt steil. Eigentlich schade für ein Spiel, das zum völlig entspannten Erkunden einladen würde und mit der netten Erzählstimme schon fast in Richtung Naturdoku wissenswertes über Adler vermitteln könnte.

Doch die Story bleibt rudimentär und deutet eben einfach mal die bekannten Events um, wenn es sein muss - so wird ein typisches Ring-Rennen zum Beispiel als Balz mit einem möglichen Lebenspartner ausgelegt. Die vorgerenderten Zwischensequenzen, die es manchmal vor solchen Missionen zu sehen gibt, sind dabei leider merkwürdig unscharf. Da macht die knusprige Realtime-Grafik einiges mehr her. Zu leiden hat sie lediglich unter sichtbarem Aufploppen von Geometrien, vor allem, wenn man hoch fliegt. Ob da wohl noch ein Patch für die PS4 Pro kommt?

Natürlich bietet das Spiel aufgrund seiner Herkunft gewisse Anklänge der "Ubisoft-Formel". Nicht nur, dass Paris und die ikonischen Adlerschreie sofort an Assassin's Creed erinnern. Nein, es gilt auch, neben dem Suchen der Federn noch Fische in den Gewässern der Stadt zu fangen, neue Horste zu erobern und mit dem Sammeln der Sterne-Wertungen besonders harte Challenges freizuschalten - falls einem die normalen Missionen noch nicht schwer genug sind. Diese bieten übrigens auch eine Ghost-Funktion, falls man es wirklich auf Bestzeiten in den weltweiten Online-Ranglisten abgesehen hat.

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Eagle Flight hätte etwas mehr sein können, als ein originelles und gutes VR-Flugspiel.

Insgesamt ist man etwa drei bis vier Stunden mit der Story beschäftigt, abgesehen von den Sammelaufgaben. Ein dezenter Hinweis noch darauf, dass sich Eagle Flight eigentlich als Multiplayer-Game sieht, doch in der Pre-Launch-Phase konnten wir noch keine Mitstreiter finden. Es ist aber davon auszugehen, dass die 3-gegen-3-Matches die gleiche Kost bieten, wie der Story-Modus. Und da die Luftkämpfe wie gesagt mit am meisten Spaß machen, ist großes Potenzial für spannende Mehrspielerschlachten gegeben.

Der zweite große Pluspunkt des Spieles ist für mich das schon fast meditative Herumfliegen, das sich mit der World-Music-artigen Hintergrundbeschallung und den vielen Tieren und ihren Lauten einfach toll anfühlt. Wenn man die Steuerung erst mal verinnerlicht hat, ist es ein Riesenspaß, sich wie ein echter Adler aus großer Höhe auf einen aus dem Wasser springen Fisch zu stürzen oder in halsbrecherischem Tempo durch die vielfältigen Bauten zu zischen, die zudem je nach Kapitel noch in unterschiedliche, atmosphärische Licht- und Wettereffekte getaucht werden. Eine Designentscheidung, die ich allerdings gar nicht nachvollziehen kann, ist folgende: Im "Freier-Flug-Modus", der von Anfang an zur Verfügung steht, kann man sich durch Drücken der X-Taste frei umsehen und behält dabei die Flugrichtung bei. In der Story geht das erst, nachdem man diese beendet hat - obwohl es auch schon vorher höchst nützlich gewesen wäre. Und dann ist da noch die Tatsache, dass sich mit den gesammelten Items eigentlich gar nichts machen lässt, außer Trophies zu sammeln - die aber hier zumindest direkt im Headset angezeigt werden.

So bleibt unterm Strich das Gefühl, Eagle Flight hätte etwas mehr sein können, als ein originelles VR-Flugspiel. Ja, ein Eagle Simulator, mit dem man mehr über diese Vögel und ihre Lebensweise erfährt, wäre nett gewesen. Oder vielleicht hätte man auch verraten können, wieso die Welt des Spiels so ist, wie sie ist und was aus der Menschheit geworden ist. Aber das Team wollte eben etwas anderes. Und Eagle Flight ist auf jeden Fall ein sehr eigenständiges und empfehlenswertes Spiel geworden, das viel aus den momentanen Gegebenheiten und Erkenntnissen von VR macht.

Mit der Wertung tue ich mich trotzdem etwas schwer, vom gefühlten Spielspaß wäre es eine hohe Sieben, aber wer weiß, was der Multiplayer dem Ganzen noch hinzufügt. Außerdem habe ich das Gefühl, dass VR-Spiele gerade an einem Scheideweg stehen. Entweder, die Entwickler stecken viel Zeit und Energie in die Erprobung neuer Konzepte und Spielmöglichkeiten, oder das System geht den Weg von Eyetoy, Kinect und Wiimote und ist nach ein paar netten Minispielsammlungen ausgelutscht. Ich würde ganz klar das erste Szenario bevorzugen und bin Ubisoft deswegen dankbar, dass sie mit Eagle Flight gute Arbeit geleistet haben. Auch wenn hier, um mal im Thema zu bleiben, noch Luft nach oben ist.

08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
Frei-wie-ein-Vogel-Gefühl, schöne Comic-Grafik, wenig Motion Sickness
-
steile Lernkurve, Potenzial wird nicht vollends ausgeschöpft
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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