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Resident Evil 6

Resident Evil 6

Resident Evil ist eine der großen, der ehrwürdigen japanischen Horror-Serien. Sie hat in den letzten Jahren ein paar Probleme gehabt. Vor allem der frische Wind fehlte. Die Versuche, die Serie fortzuentwickeln, brachten nicht den gewünschten Erfolg. Resident Evil 6 soll es nun richten, über 600 Entwickler haben dafür hart gearbeitet.

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Die Größe des Teams spiegelt sich auf jeden Fall auch in der Größe des Spiels wider. Resident Evil 6 ist ein Monster, gemessen an den heute gültigen Standards. Die Story ist in vier Kampagnen gesplittet, die jede je nach Spielweise und Fähigkeiten locker sieben Stunden lang ist. Macht knapp 30 Stunden Spielzeit - das ist sehr viel für ein Third-Person-Actionspiel. Aber wie genau sehen die vielen Stunden aus?

Mit welcher Kampagne man am Anfang startet, ist egal. Leon S. Kennedy, Chris Redfield und Jake Muller stehen zur Auswahl, mit jeweils einem Partner an der Seite. Der entweder alternativ gewählt werden kann oder im Koop offline oder online von einem echten Spieler ausgefüllt wird. Der besondere Clou des Koop-Modus ist, dass er uns an bestimmten Stellen in Resident Evil 6 mit bis zu vier Spielern die Geschichte erleben lässt, wenn sich die Kampagnen an Höhepunkten kreuzen. Das sind dann meist Kämpfe gegen mächtige Monster, die das C-Virus offensichtlich nicht oder nur allzu gut vertragen haben.

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Resident Evil 6Resident Evil 6
Die Boss-Kämpfe sind spannend wie immer und fordern einem alles an Nerven und Munition ab, was geht.
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Die Vielfalt selbst dieser großen Monster ist enorm. Sie sind sowohl visuell als auch spieltaktisch einzigartig und werden von einer beachtlichen Menge unterschiedlicher kleinerer BOWs begleitet, den bioorganischen Waffen, um die es auch hier wieder geht. Als die mutierten Zombies das erste Mal mit dem Automatikgewehr zurückschießen, fährt mir ein Scheißschreck durch die Glieder. Sind die jetzt schlau geworden? Sind sie. Sie können Hubschrauber fliegen und komplexe Befehle ausführen, bis sie ein bisschen zu stark mutieren. Capcom gelingt es jedenfalls hervorragend, dieses realistische Gefühl von Hektik, Angst und Chaos zu vermitteln. Und die Boss-Kämpfe sind spannend wie immer und fordern einem alles an Nerven und Munition ab, was geht.

Diesen extremen Höhepunkten steht das Vorspiel gegenüber. Die reine Spielzeit wird an vielen Stellen gestreckt, durch unnötige und nervige Quicktime-Events etwa. Wer die siebte Tür mit einem knallroten Drehverschluss aufgekurbelt hat, fragt sich echt, warum da nicht einfach ein Knopfdruck reicht. Selbst eine Kinect-Lösung wäre hübscher gewesen. Klar, das Öffnen von Türen ist eine Art Merkmal der Spielserie, aber man kann es auch übertreiben (was in der Kampagne von Jack Muller dann leider auch passiert). Was auch immer wieder passiert: Längere Spaziergänge von A nach B ohne erkennbaren Grund. Dem Verringern der gefühlten Ladezeiten kann es nicht dienen, die nerven trotz dieser langatmigen Passagen immer mal wieder.

Die Spielwelt ist fast überall in den Kampagnen streng linear konzipiert. Es gibt kaum eine Möglichkeit, vom Weg abzukommen oder eine Alternativroute durch einen Level zu nehmen. Das ist schade, denn die Erwartungshaltung vieler Spieler ist 2012 einfach eine andere. Mancher mag das in der Kampagne von Leon S. Kennedy noch mit der Kitschbrille vor Augen als serientypisch abnicken. Aber Chris Redfields deutlich offensiverer BSAA-Ballerei fällt einfach auf, dass man sich nicht so frei bewegen kann wie in jedem x-beliebigen Egoshooter. Aber man denkt die ganze Zeit, man würde einen spielen. Ich will jetzt nicht in jedes Haus reinlaufen können, aber ein bisschen mehr Natürlichkeit und Freiheit hätte dem Leveldesign nicht geschadet.

Resident Evil 6
Alle Kampagnen unterscheiden sich substanziell, sowohl in der Art des Spielens als auch der Inszenierung.
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Anderseits ist das Erzähltempo der Geschichte sehr gelungen. Alle Kampagnen unterscheiden sich substanziell, sowohl in der Art des Spielens als auch der Inszenierung. Viele Level spielen zwar im Dunkeln, aber auch das komplette Gegenteil ist am Start. Der fast komplett in weiß gehaltene Level von Jack Muller ist in seiner Schlichtheit eine Augenweide.

Sobald wir in oder auf Fahrzeugen unterwegs sind, wird‘s fast immer sehr statisch. Lediglich eine Episode im Kampfjet ist etwas freier gehalten, aber dafür fühlt es sich komplett doof an, einen Polizeiwagen nicht um zwei Ecken selbst steuern zu dürfen - wo wir aber vorher noch in einem halbinteraktiven Quicktime-Event hektisch die Schlüssel gesucht haben. Die Ouicktime-Events, nun ja, ich finde sie generell so unfassbar dumm. Einfach lassen, das geht immer auch anders und besser.

Das Statische steht der Spielwelt ohnehin häufiger im Weg, denn alles ist leider wenig interaktiv. Man kann keine liebevoll drapierten Billardkugeln auseinander schießen. Die Bar klirrt zwar, wenn man draufschießt, die Flaschen-Fototapete juckt das aber nicht. Scheinwerfer lassen sich auch nicht kaputtschießen. Dafür wehen die Haare der Protagonisten immer herrlich frisch gewaschen durch die Zwischensequenzen - man kann die Spülung quasi riechen. Schade, dass ihre Hände im Vergleich dazu nur billig aussehen.

Der Sound ist derweil einfach klasse. Hintergrundmusik und Geräuschkulisse sind nahezu auf perfektem Level inszeniert, gut abgemischt und unterstreichen immer wieder den hoch und runter pegelnden Spannungsbogen. Resident Evil 6 bietet uns eine tolle Atmosphäre in einer inhaltlich sehr schön konzipierten Spielwelt - und auch die Zwischensequenzen sind teils extrem toll inszeniert. Häufig geht beides ziemlich nahtlos ineinander über. Die Sequenzen sehen natürlich besser aus, aber Leon & Co. müssen sich im Spiel wirklich nicht verstecken. Sie sind hübsch animiert und das typische, etwas stokelige Resident Evil-Gefühl ist fast ganz weg. Die Grafik der Level selbst ist allerdings nicht immer so richtig super. Und in einigen Momenten führt die nervige Kameraführung zu Frustration.

Extrem anstrengend sind etwa zwischenzeitlich jene Sequenzen, in denen man fest inszeniert flüchten muss. Wenn die Perspektive während des Rennens im Rondell eines Turmes mehrfach wechselt und dazu die Flucht so ungnädig gescripted ist, dass man beim kleinsten Fehler einfach draufgeht, dann ist das nicht spannend, sondern nur unnötig. Und es wirkt so, als ob man hier etwas künstlich in die Länge ziehen wollte.

Resident Evil 6 spielt man übrigens, das ist nicht ganz unwichtig, idealerweise im Koop. Das Gameplay ist dafür gemacht. Man hat trotzdem immer das Gefühl, machen zu können wie man will in einem sinnvoll großen Radius um den Partner herum. Manchmal gibt es längere Wartepassagen, weil man dem Partner dabei zusehen muss, wenn er eine Aufgabe erfüllt - meist irgendeinen Weg zu öffnen. Im besten Fall darf man derweil ein paar Zombies erledigen. Oft allerdings wartet man einfach nur. Online im Koop zu spielen ist trotzdem bedingungslos top, im Splitscreen mit versetztem Bildschirm dagegen nur okay.

Resident Evil 6
Extrem anstrengend sind etwa zwischenzeitlich jene Sequenzen, in denen man fest inszeniert flüchten muss.

Alle Protagonisten sind sehr gut im Nahkampf mit Fäusten und Beinen unterwegs - Resident Evil 6 fühlt sich darum häufig wie ein Prügelspiel an. Fürs Kämpfen verbrauchen wir Energie, müssen also gut timen und nicht sinnlos Schlägereien starten, sonst geht die Puste und mit ihr das Lebenslicht aus. Waffen sind wie immer eher wenige am Start, aber alles relevante ist vorhanden: Armbrust, Magnum, Shotgun, Maschinenpistole und Automatikgewehr, dazu Heilkräuter, First-Aid-Spray, Hand- und Blendgranaten und Fernzündminen. Alle Waffen bleiben wie sie sind, manche haben alternative Munition an Bord und alle lassen sich durch die Skill-Settings verändern.

Die servieren einen netten Weg, sich das Spiel leichter oder noch schwerer zu machen. Außerdem gibt es so einen zusätzlichen Anreiz, möglichst viele Zombies zu erledigen, damit die Skill Points zum Freischalten der Features reinkommen. Sie zu erspielen, ist wirklich anstrengend. Manchmal stecken sie auch in Kisten. Ebenso gut gelöst ist, dass die Skills für alle Kampagnen gelten, also vom gerade gewählten Charakter losgelöst sind. Sie lassen sich auch im Mercenaries-Modus erspielen - ein netter Bonus, der fast das reine Kampferlebnis im Vorspulmodus abliefert und ebenso alleine wie im Koop spielbar ist.

Der Multiplayer im Mercenaries- oder Agent Hunt-Modus ist aber lediglich ein Extra. Die Kampagnen und die Story, sie definieren das Spiel. Man kann zwischen allen drei Kampagnen hin- und her springen und jeweils Kapitel für Kapitel nacheinander aus allen Perspektiven spielen. Oder jede Kampagne für sich. Ist beides gut. Die Geschichten bewegen sich hübsch aufeinander zu und man meint zu ahnen, was falsch läuft und wer das Böse personifiziert. Aber es ist am Ende dann doch ein bisschen anders.

Resident Evil 6
So richtig gut ist das Spiel erst auf den hohen Schwierigkeitsstufen.

Es steckt unheimlich viel drin in diesem Spiel. Aber einige Stunden Spielzeit verbringen wir eben auch mit dem Wiederholen unnötig komplizierter Stellen oder dem Laufen durch ungruselige und lineare Passagen. Da wird es einem dann klar: Das Horrorspiel von früher ist einfach tot. Das hier ist jenseits von Leon S. Kennedy viel mehr ein modernes Actionvideospiel geworden. Aber ihm fehlt eine eigene Identität, außer dass man sich das Spielerlebnis mit wenig Munition und starken Gegnern potenziell extrem verkomplizieren kann. Ganz typisch japanisch eben. Dann taucht auch der Horror wieder auf. Aber nur dann. Und wird begleitet von dieser perversen Frustration des Scheiterns. Allein das hält einen am Spielen - nicht der Spaß, sondern der Wille, es zu meistern.

Kurzum: Resident Evil 6 ist ein gutes Spiel, aber kein sehr gutes.

Die Rätsel zum Beispiel, die sind alt und durchschaubar. "Stell' Dir vor, die Kurbel fehlt", sagt Leon S. Kennedy einmal. Das fasst die Spannung der Aufgaben in seiner Kampagne zusammen. Dazu gibt es Probleme mit der Wahl der Speicherpunkte, was dazu führt, dass man leider nach dem Unterbrechen nicht immer an der Stelle loslegt, an der man glaubt, dass das Spiel zuletzt gespeichert hätte. Denn ein Checkpoint ist kein Speicherpunkt, den sich das Spiel merkt. Da gehen schnell mal zehn Minuten und ein bitterer Cliffhanger den Bach runter.

So richtig gut ist Resident Evil 6 erst auf den hohen Schwierigkeitsstufen. Dann, wenn die Munition knapp und die Angst groß wird. Je härter man spielt, umso größer die Furcht vor eigentlich allem. Umso mehr nutzt man zwangsläufig die Nahkampfangriffe und das Messer. Dann muss man die Schwachpunkte selbst der regulären Gegner kennen und nutzen, um überhaupt eine Chance zu haben. Eine Chance. Nun, die sollte man auch Resident Evil 6 auf jeden Fall geben. Wenn man Actionspiele und Zombies mag. Und gute Geschichten. Ein bisschen Leidensfähigkeit muss man aber mitbringen.

08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
Großartige Story, spannender Koop-Modus für (online) bis zu vier Spieler, tolle Bossfights
-
Leerlauf in der Levels, Spielwelt zu linear, nervig gescriptete Fluchtsequenzen
overall score
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