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Spider-Man

Spider-Man

Für die menschliche Spinne entwerfen die Sunset Overdrive-Entwickler auf der PS4 einen dicken Exklusivbrocken. Wir sind der Spinne ins Netz gegangen.

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Insomniac erzählt in Spider-Man die Geschichte eines erwachsenen Superhelden. Acht Jahre sind seit dem Tod von Peters Onkel Ben und dem Erwachen unserer übermenschlichen Kräfte vergangen. In den langen Jahren hat die menschliche Spinne viel erlebt, sich etliche Feinde aber auch Freunde gemacht und vermutlich ganz Manhattan mit klebrigen Spinnennetzen eingesponnen. In verstreuten Sammelobjekten wird uns kurz angebunden von dieser Zeit berichtet, während wir im Rahmen der Hauptgeschichte zu neuen Abenteuern aufbrechen.

Nachdem Spidey den lokalen Oberbösewicht hinter Schloss und Riegel verfrachtet hat, nimmt eine konkurrierende, skrupellose Gangster-Bande die Geschäfte wieder auf und bringt dabei Ereignisse ins Rollen, die Manhattan bis auf die Grundfesten erschüttern werden. Fans bekommen was sie wollen, denn Spider-Man muss wieder den Tag retten. Die ersten Kapitel des Abenteuers nehmen sich noch viel Zeit, um alle wichtigen Eckdaten einzuführen, doch sobald wir im letzten Akt angelangt sind, überschlagen sich die Ereignisse.

Das eng getaktete Temp mag dabei dem Geiste der Comicbücher entsprechen, Videospielen steht in aller Regel jedoch mehr Raum für Inszenierung und Gestaltung von Spannungsspitzen zur Verfügung. Insomniac hetzt einige der größten Superschurken des Universums auf Spider-Man und verpulvert ihr ganzes Potential in einer Handvoll hastig absolvierter Missionen. Das zugegeben schicke Effektfeuerwerk hält nicht lange an und wird den diversen Vorlagen folglich nicht gerecht.

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Da Tageslicht und Uhrzeit an Missionen gekoppelt sind, lädt New York immer neu, wenn die Umstände mit unserer aktuellen Situation nicht übereinstimmen.

Wenn sich Spider-Man gerade nicht mit den Oberfieslingen anlegt, vermöbeln wir meist unbedeutendere Straftäter. Dabei rutscht und springt Spidey akrobatisch zwischen seinen Gegnern hin und her, raubt ihnen mit Spinnfäden die Ausrüstung oder fesselt sie an Wände oder klebt sie direkt auf dem Boden fest. Nahe Objekte und Feinde werden in Windeseile zum Wurfgeschoss umfunktioniert und lassen sich defensiv im Kreisbogen schwingen, um unserem Helden etwas Freiraum zu verschaffen. Raufereien in der Luft sind ebenfalls am Start, dort sind dem Netzschwinger allerdings nur die wenigsten Schurken gewachsen.

In der Offensive müssen wir stets auf hinterhältige Angriffe achten, denn die Kampfdynamik wird, wie schon in den Batman-Spielen von Remedy, buchstäblich von unseren Ausweichversuchen bestimmt. Um die Verbrechensbekämpfung nicht schon nach wenigen Treffern einzustellen, sollten wir auf Peters Spinnensinn hören, der ihn und uns vor unmittelbaren Gefahren warnt. Verpatzen wir jedoch wiederholt das richtige Timing beim Ausweichen, befördern uns die bösen Jungs selbst auf dem normalen Schwierigkeitsgrad schon mit wenigen Angriffen ins Krankenhaus. Viele Gegnervarianten müssen auf diese Weise gekontert werden, da sich auf anderem Wege keine Schwäche in ihrer Verteidigung ergibt. Auch die Bosskämpfe funktionieren nach exakt diesem Prinzip.

Spideys Raufereien mit der Unterwelt sind nur ein Standbein des Spiels, schließlich muss der Netzschwinger seine Maske auch irgendwann mal ablegen. Dann schlüpfen wir in die Rolle des sanften und gutmütigen Peter Parker, Spideys ebenso witziges wie cooles Alter Ego. Während Spider-Man der taffe Superheld ist, gewährt uns Peter Einblicke in seine Gefühlswelt und erreicht uns dadurch auf emotionaler Ebene. Seine Abschnitte nehmen zwar generell Fahrt aus dem Spiel, treiben gleichzeitig jedoch die Entwicklung der Geschichte voran. Dieser stete Wechsel aus rasanter Action und besonnenen Gesprächen tut dem Spielfluss gut, obwohl viele aktuelle Spiele die Vermischung der beiden Bestandteile geschickter hinbekommen.

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Wenn wir die bösen Jungs verhauen, hat das viel mit Button-Smashing zu tun. Und selbst wenn wir Spideys Angriffsrepertoire ausschöpfen, müssen wir eigentlich nur rechtzeitig ausweichen und stetig weiter prügeln.

Neben Spidey und Peter werden wir im Spielverlauf regelmäßig zwei weitere Spielfiguren steuern und auf diese Weise Einblicke in Situationen erhalten, die Spider-Man unter normalen Umständen entgangen wären. In diesen Missionen müssen wir seichte Stealth-Sequenzen in linearen Gebieten absolvieren, durch unachtsame Gegner wird uns hierbei allerdings spielerisch kaum etwas geboten. Ich kann mir die Integration dieser Abschnitte nur mit Fanservice erklären, das Erzähltempo leidet unter den teils unwichtigen und gekünstelt wirkenden Rückblicken nämlich jedes Mal.

Spider-Man ist ein Spiel des gradlinigen Freischaltens von neuen Aktivitäten. Viele davon sind Fleiß- und Sammelaufgaben und nicht alles hat direkt etwas mit der Verbrechensbekämpfung zu tun. Gesammelte Rucksäcke, gelöste Laborrätsel und vereitelte Straftaten belohnen uns mit speziellen Token, die wir in die Entwicklung des Helden stecken. Wer möglichst viel von Spideys verstecktem Potential entfesseln möchte, der muss neben den Hauptmissionen zumindest halbwegs regelmäßig in New York für Recht und Ordnung sorgen - und dabei einige Sammelobjekte mitnehmen. Dass das alles aufgrund der grandiosen Fortbewegungsmechaniken massig Spaß macht, ist eine echte Bereicherung.

Im Spiel dürfen wir den Comic-Helden übrigens in verschiedene Anzüge zwängen, um mächtige Spezialkräfte zu aktivieren. Die meisten Verkleidungen aktivieren starke Kampfeffekte wie beispielsweise Donnerfäuste, mit denen wir feindliche Aktionen bei Kontakt unterbrechen, oder die Fähigkeit alles in unserem Umkreis mit dichten Netzen einzuspinnen. Nicht jede Anzugkraft ist nützlich, doch dank der kurzen Abklingzeit erhalten wir im Verlauf des Spiels genügend Gelegenheit, mit dieser Mechanik herumzuexperimentieren.

Positiv aufgefallen sind uns zudem die Forschungs- und Entwicklungsmissionen, die Spider-Man für seinen Kumpel Harry Osborn übernimmt. Die kleineren Aufgaben beschäftigen sich thematisch mit dem Schutz der Stadt und sind ebenso gut konzipiert wie narrativ eingebunden. Manchmal überprüfen wir lokale Umweltbelastungen, in einem anderen Fall gehen wir der Ursache für erhöhten Wasserdruck in einem Wohngebiet nach. Diese Aufgaben sind die besseren Beispiele für Nebenbeschäftigungen in Insomniacs Spider-Man, Normalerweise kloppen wir uns nur und achten nebenbei vielleicht noch darauf, optionale Missionsvorgaben zu erfüllen. Das macht natürlich immer noch Spaß, aber es bleibt das gesamte Spiel über auch sehr gleichförmig und fällt dadurch irgendwann ab.

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Wem sein aktuelles Erscheinungsbild nicht gefällt, darf die Anzugkraft übrigens auch mit einem anderen Aussehen koppeln.

Allgemein ist das neue Abenteuer des Netzschwingers ein sehr technisches, abgesehen von der - und das kann man wirklich nicht genug betonen - grafischen Leistung. Peter forscht an hochmodernen Prothesen. Dann müssen wir ständig Server kalibrieren und Schaltkreise übertakten. In Spider-Man sind wir also zu Gast in einem modernen New York, einer Stadt mit aktuellen, kosmopolitischen Problemen. Der technologische Fortschritt hat Peter Parker längst erreicht und deswegen geben sich die Entwickler größte Mühe dabei, Messenger-Unterhaltungen und Spideys ausgedehnten Social-Media-Feed zu inszenieren. Es ist ein Szenario, das zukunftsgewandt und plausibel wirkt und somit gleichzeitig den ab dem ersten Verkaufstag per Day-1-Patch-bereitstehenden Fotomodus sinnvoll einwebt.

Insomniacs neues Game ist echt unglaublich schön, nur dass man die HUD-Elemente nicht komplett deaktivieren darf, hat mich am Spiel schon etwas genervt. Im Sonnenuntergang durch tiefe Häuserschluchten zu schwingen und währenddessen Spideys mutwillig stylische Bewegungsabläufe zu erleben, das ist ein wahrer Hochgenuss. Die Gesichter sehen fantastisch aus, die Synchronsprecher machen ihre Arbeit hervorragend und alles läuft flüssig. Es ist schon nicht leicht, bei dieser runden Performance nicht irgendwann ins Schwärmen zu geraten.

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Am meisten bockt es, mit Spidey durch Manhattan zu schwingen. Das sieht cool aus, fühlt sich grandios an und wird echt nicht langweilig.

In all dieser Pracht kommt es natürlich auch zu kleinen Spielfehlern, aber daran wird sich niemand ein Bein brechen. Damit die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft auch noch die letzte Pirouette während des Fluges schafft, und nicht plump auf den Boden oder gegen eine Häuserwand prallt, wird halt ein bisschen nachgeholfen. Daran stört sich niemand, schließlich wäre es ganz schön lahm, wenn unser Superheld alle paar Minuten an Fallschaden stirbt und wir neu laden müssten.

Fans bekommen mit Spider-Man eine vor allem technisch sehr gut ausgearbeitete Erfahrung. Die Handlung ist durchwachsen erzählt und bietet ebenso viele Tiefpunkte wie actionreiche Wow-Momente. Die spielerische Gleichförmigkeit von Spider-Man erschwert lange Sitzungen etwas und zumindest ich hätte auf die Abschnitte der unbeteiligten Charaktere verzichten können. Am Ende bleibt das grandiose Gefühl hängen, stilvoll durch den Schmelztiegel New York zu schwingen und dahinter versteckt sich eine Faszination, mit der nur wenige Spiele prahlen können. Beinharte Comicfans werden aus diesem Werk noch deutlich mehr ziehen können, alle anderen schlüpfen für ein paar richtig schöne Stunden in die Rolle des allerbesten Superhelden.

09 Gamereactor Deutschland
9 / 10
+
bombastische Präsentation, fantastische Bewegungsdynamik und Animationen, Manhattan ist ein toller Schauplatz mit vielen Aktivitäten, coole Nebenmissionen, starke Charaktere
-
Erzähltempo (der dritte Akt enttäuscht), Gegner sind blind, hauen aber ordentlich zu, erzwungener Tag-Nacht-Wechsel, Nebenaktivitäten wiederholen sich zu schnell, ständig ruiniert ein Missionsmarker das Bild
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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