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The Grand Tour Game

The Grand Tour Game

Drei Legenden des Auto-TV-Journalismus geben sich und ihre neue Amazon-Show für ein Videospiel her - und heizen die Karre gegen die Wand.

Jeremy Clarkson, Richard Hammond und James May sind für Auto-Nerds weltweit echte Legenden. Die drei Briten waren jahrelang irre erfolgreiche Moderatoren der legendären BBC-Autoshow Top Gear. Und auf einen Schlag (von Jeremy Clarkson) stiegen sie dann 2015 alle aus, weil die BBC den Vertrag von Clarkson wegen diverser Probleme nicht verlängerte. Nur um kurze Zeit später für den Streaming-Dienst Amazon Prime mit The Grand Tour ihre ganz eigene Autoshow zu starten.

The Grand Tour hat seine Wurzeln natürlich visuell und konzeptionell bei Top Gear - und spielt immer wieder mit diesem Umstand. Natürlich war es da nur eine Frage der Zeit, bis auch ein Videospiel zu der Show gemacht werden musste. Also beauftragte Amazon sein Entwicklungsteam bei den Amazon Game Studios damit, ein Konsolenspiel für PS4 und Xbox One auf Basis der TV-Serie zu entwickeln. Hätten sie es besser mal gelassen...

Unter dem Titel The Grand Tour Game ist ein konzeptionell interessantes Werk geplant worden. The Grand Tour Game setzt auf eine episodische Veröffentlichung parallel zur aktuell wöchentlich ausgestrahlten Serie auf Amazon Prime. Das Spiel wurde zum Start der dritten Staffel veröffentlicht und enthielt zu diesem Zeitpunkt zwei alte Episoden aus Staffel 1 und 2 sowie die erste Episode aus Staffel 3. Das ist sehr wenig Content. Nachdem man aktuell das 5 GB große Update für die zweite Episode der dritten Staffel für die Xbox One X herunterladen kann, kriegt man 30 Minuten mehr Inhalt und einen Gruß aus der Hölle, weil einfach so der komplette Speicherstand überschrieben wird. "Idiots!", höre ich Clarkson schreien.

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The Grand Tour GameThe Grand Tour Game
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Eigentlich wollte ich noch die paar fehlenden Goldmedaillen holen in den einzelnen Passagen aller Staffeln. Wird nun nicht passieren, weil ich diesen Rennspielschrott aus der jämmerlichen Lizenzvideospielhölle sicherlich kein zweites Mal komplett angehe. Yep, so ist es: The Grand Tour Game ist Schrott. Leider kein Schrott jener lustigen Sorte, den die drei Briten gelegentlich in ihrer Show während einer Challenge zusammenschweißen. Sondern einfach nur Schrott in der Art der schwulenfeindlich-sexistische Witzwelt, in die sich der leider zunehmend altersgeil wirkende Jeremy Clarkson immer weiter flüchtet. Kann man in seiner tristen Gesamtheit in der zweiten Episode der dritten Staffel bestaunen. Mit einem Klick aus dem Menü heraus startet die Konsole die Amazon-App und damit die Show. Wenn man zahlender Prime-Kunde ist.

Man, was waren die drei Jungs einstmals lustig. Als die Witze noch „nur" zotig waren und nicht einfach nur böse. Eigentlich sind die Grundideen der Show The Grand Tour sogar auch weiter gut. Aber gerade Clarkson hätte mal aussteigen sollen, bevor es peinlich geworden ist. James May als grundsätzlich liberaler Typ kommt besser weg, ebenso wie der gefühlt halb so alte Richard Hammond. Egal, geschenkt. Das Game jedenfalls ist Schrott. Hier fehlt ein Großteil des Produktionswertes und der Politur der Prime-Show. The Grand Tour Game folgt blindlings dem gleichen Trend wie viele enttäuschende Lizenzspiele früher.

Dabei ist die Grundidee gut: Wir spielen quasi die Show. Als Episoden präsentiert werden uns Ausschnitte einer TV-Episode gezeigt und wir haben dann die Aufgabe, die anschließenden Szenarien selbst auszuarbeiten. Im Regelfall sind das Aufgaben, die das Fahren von Autos beinhalten. Es gibt aber auch langweilige Lückenfüller wie das wiederholte Fotografieren von Tieren (weil es Teil der Episode ist). Aber auch das Fahren ist schlicht und einfach sehr schwach umgesetzt.

Unsere spielbaren Missionen bestehen aus einer Reihe untershiedlicher Aufgaben, je nachdem, wie sich die Show abspielt. Dazu gehören normale Rennen gegen die Uhr oder gegeneinander, Driftherausforderungen oder Drag-Races. Die Aufgaben sind schnell erledigt und man bekommt eine von drei Medaillen, meist die goldene. Dazu gesellen sich dann Szenen aus der Show mit etwa 15 Minuten Gesamtlänge pro Episode, die man aber nach einigem Laden auch überspringen oder zurückspulen darf. Darüber hinaus gibt es einen lokalen Arcade-Modus, der mit bis zu vier Spieler im Splitscreen gespielt werden kann. Wie gesagt: wenig Inhalt.

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Die wirklichen Probleme liegen in der Präsentation und dem zentralen Gameplay. The Grand Tour Game erscheint Anfang 2019, nachdem Xbox- und PC-Fans das brillante Forza Horizon 4 und PS4-Spieler immerhin The Crew 2 bekamen. Das sind jeweils tolle Arcade-Rennspiele und demonstrieren deutlich die neuesten Generation in Sachen Präsentation, Design und Ausführung. The Grand Tour Game sieht dagegen alt und mal eben hinprogrammiert aus. Fast überall gibt's sichtbare Texturen, die ins Bild ploppen. Und dazu einen seltsamen Filter, der dem Spiel eine fast filmische Ästhetik verleihen soll. Klappt leider nicht. Es steht zudem im krassen Gegensatz zu der wunderschön polierten 4K-Präsentation, die in den TV-Segmenten angeboten wird. Das macht Kluft der Qualität nur noch deutlicher.

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Die beste Beschreibung der Fahrphysik ist: "fehlt völlig". Egal ob man auf Asphalt, Schotter oder Vulkanasche unterwegs ist, nichts fühlt sich realistisch oder irgendwie unterschiedlich an. Der Unterschied zwischen Vollgas und kontrolliert gefahrenen Passagen am Limit ist nicht da. Das Gameplay bietet nicht anders als Outrun vor gefühlt hundert Jahren: schnell oder langsam. Die Fahrzeugtypen zeigen immerhin einen spürbaren Unterschied zwischen Mustang-Supermusclecar oder Fiat Panda. Aber die "Fahrphysik" ist eben einfach eine große Enttäuschung. Sie hätte den Rest der Erfahrung steigern können, wenn sie das Arcade-Fahrgefühl des ersten Forza Horizon nur zu 30 Prozent erreicht hätte. Oder die irgendeines anderen, meinetwegen zehn Jahre alte Codemasters-Rennspiels.

Die Strecken in The Grand Tour Game sind lieblos gestaltet. Um Geld zu sparen, wurden Strecken für die Episoden einfach exakt gespiegelt eingebaut ohne jede weitere Veränderung. Passte zum Glück in das Storytelling der Show. Leider sind die Kollisionsabfragen mit den unsichtbaren Begrenzungen der Strecke ebenso komplett versaut wie die der gelegentlich mitfahrenden Gegner. Die Krachen mal voll ineinander ohne Konsequenzen oder bleiben sofort alle stehen. Passenderweise holt einen der Gummiband-Effekt immer wieder schnell unmittelbar ins Spielgeschehen zurück. Die Gegner allerdings auch...

Mit gutem Willen macht der Arcade-Modus jenseits der Episoden etwas Spaß, weil er eine Art Super Mario Kart-Kopie sein will. Es gibt Gadgets, die nach Belieben ein- und ausgeschaltet werden können. Dazu gehört ein Superturbo und drei ablenkungsähnliche Power-Ups in Form von "Candy Fog" (ein pinkfarbener Rauchvorhang), "WhippySlippy" (eine Schleimspur) und "Texting" (eine ablenkende Textnachricht auf dem Bildschirm). Dazu gibt es lieblose Voiceover-Einlagen von Jeremy, Richard und James. Immerhin ist es hier ein brauchbares Arcade-Rennspiel, das auch Dreijährige kapieren. Wer ist das Spiel aber am Ende nicht. Was irgendwie schade ist. Aber ebenso nachvollziehbar, denn hier wurde einfach die Lizenz genutzt, um etwas zu machen, auf das die Welt gut hätte verzichten können.

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04 Gamereactor Deutschland
4 / 10
+
Spannendes Konzept, spielbarer lokaler Arcade-Multiplayer
-
kaum Inhalt, lieblose Umsetzung, kein Fahrgefühl, insgesamt seelenloses Lizenzvideospiel
overall score
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