Deutsch
Gamereactor
Kritiken
Das Testament des Sherlock Holmes

Das Testament des Sherlock Holmes

Sherlock Holmes ist bekannt als der Meisterdetektiv. Auch wenn Scotland Yard nicht mehr weiter wusste, er konnte durch kluge Analysen und logische Schlussfolgerung auch das schwierigste Rätsel lösen. Heute verfolgen die Leute Dr. House und Monk - die älteren Semester schwören vielleicht noch auf Colombo - aber im letzten Jahrhundert waren es die Fälle von Holmes, die faszinierten. Ein Adventure auf dieser Basis war daher naheliegend und seit 2002 will uns Frogwares für die Geschichten begeistern. Mit Das Testament des Sherlock Holmes erscheint bereits der sechste Teil der Serie.

HQ

Sherlock Holmes und Dr. Watson sind schon ein wunderliches Pärchen. Holmes als kühler und eigentümlicher Denker auf der einen Seite und ein sehr bodenständiger, fast einfach wirkender Watson auf der anderen. Trotz ihrer Unterschiede sind die beiden enge Freunde und sie ergänzen sich fabelhaft. Doch wird ihre Freundschaft in Das Testament des Sherlock Holmes auf eine harte Probe gestellt. Der Fall um eine verschwundene Halskette scheint schnell gelöst, aber in der Folge gerät der Detektiv selbst ins Visier der Ermittlung. Anfangs regt sich Watson über die Anschuldigungen noch furchtbar auf, jedoch verhält sich Holmes immer merkwürdiger. Der Doktor beginnt zu zweifeln. Ist alles nur eine clevere Inszenierung - er als dummer Bauer auf dem Schachbrett? Wurde er die ganze Zeit nur benutzt?

Auch ich ziehe natürlich meine Schlussfolgerungen und sitze verwundert vor dem Bildschirm. Was zum Teufel macht dieser Holmes da eigentlich? Hat der Typ gar keine Skrupel? Warum geht er Scotland Yard aus dem Weg? Und sollte er nicht dafür verantwortlich sein, wer ist es dann? Vieles ist nicht wie es scheint und dieses Abenteuer als sein dunkelste Kapitel zu bezeichnen ist keinesfalls gelogen, die Altersfreigabe ab 16 Jahren nicht übertrieben. Sollten je Zweifel daran bestanden haben, dass Sherlock Holmes eine düstere Seite hat, dies ist der - auch ohne scharfe Kombinationsgabe - eindeutige Beweis. Ein paar der blutigeren Szenen sind sogar richtig gehend widerlich.

HQ
Das Testament des Sherlock HolmesDas Testament des Sherlock Holmes
Holmes als kühler und eigentümlicher Denker auf der einen Seite und ein sehr bodenständiger, fast einfach wirkende Watson auf der anderen.
Werbung:

Die Authentizität und Ernsthaftigkeit, sie hat bereits die Kurzgeschichten so erfolgreich gemacht. Auch diesem Spiel stehen sie gut zu Gesicht - die Bezüge zu den Problemen der Zeit und den realen Orten. All das könnte sich tatsächlich so zugetragen haben: eine Hungersnot in London, die hohe Arbeitslosigkeit, wunderliche Monarchen und strenge Konventionen. Zuträglich ist sicherlich auch die solide Präsentation. Zwar erinnern die relativ offen gehaltenen Straßenzüge von Whitechapel mit ihren Nebelschwaden eher an Silent Hill und die Qualität der Texturen ist zum Teil schwach. Aber Mimik und Gestik der Charaktere sind für ein Adventure ziemlich gelungen und die Innenräume fast durchweg hübsch. Auch die Sprachausgabe ist gut. Es treten nur kleinere Übersetzungsfehler auf und nicht jede Stimme passt zur gemimten Figur.

Eigentlich sollte das Spiel bereits 2010 erscheinen, wurde auf 2011 verschoben und kommt nun erst jetzt, 2012. Aber schließlich soll es das größte und schönste Spiel von Frogwares werden. Und es erscheint nicht nur für den PC, sondern auch für Playstation 3 und Xbox 360. Für die Konsolen wurde es sogar speziell entworfen. Merklich ist dies an der Art, wie das Spiel aufgebaut wurde. Nur selten müssen wir etwas mit dem Cursor anvisieren, meist navigieren wir mit kurzen Klicks. Wenn wir Sherlock oder Watson steuern, haben wir die Wahl zwischen einer Ego- und einer Third-Person-Perspektive. Zwischen beiden lässt sich einfach hin und her schalten, wobei sich die direkt gesteuerte Egosicht besser anfühlt. Damit sind wir näher am Geschehen und fühlen uns besser in die Figuren ein.

Auf diese Weise macht das Inspizieren von Orten auch mehr Freude, denn wir müssen natürlich immer genau hinschauen, damit wir alle Hinweise entdecken. Gegenstände, mit denen wir interagieren können, sind nicht optisch hervorgehoben. Sie erhalten lediglich eine Markierung, wenn wir vor ihnen stehen und direkt darauf schauen. Wir sammeln so während des Spielens viele Informationen und müssen sie als vorrangiges Ziel kombinieren.

Wenn wir an einer Stelle nicht weiterkommen, müssen wir eben Grübeln, wie das Problem gelöst werden kann. Ist etwas im Raum, das wir bereits entdeckt haben und nun gebrauchen können? Wurde uns etwas erzählt, dass die richtige Antwort verrät? Oder können wir Dinge nutzen, die wir bereits im Inventar haben? In der Regel funktioniert das alles ziemlich logisch, auch wenn wir unseren Grips benutzen müssen und lernen, aufmerksam zu sein. Nervig ist manchmal nur, dass das Spiel nicht rafft, wenn wir eine Aufgabe bereits früher als geplant gelöst haben. Die Charaktere spulen dann zunächst erklärende Dialoge ab, die eigentlich überflüssig sind, weil wir genau das schon erledigt haben.

Werbung:

Die Rätsel sind eine große Stärke von Das Testament des Sherlock Holmes, denn sie sind wirklich alle perfekt in das Spiel integriert und nichts wirkt aufgesetzt. Natürlich fragen wir uns vielleicht im Nachgang, warum es so viele und manchmal auch merkwürdige Verschlusssysteme gab. Doch während des Spielens sind wir voll und ganz im Knobelfieber. Es gibt Schieberätsel, Denkaufgaben und Puzzles in allen Variationen, wir analysieren mit Mikroskop und Chemiebaukasten oder nehmen eine Obduktion vor.

Das Testament des Sherlock Holmes
Sollten je Zweifel daran bestanden haben, dass Sherlock Holmes eine düstere Seite hat, dies ist der - auch ohne scharfe Kombinationsgabe - eindeutige Beweis.

Vergleichen wir Das Testament des Sherlock Holmes mit anderen Vertretern des Genres, sticht die Qualität schon hervor. Nur wenige 3D-Adventure erreichen dieses Niveau, auch wenn es hier und da ein paar unschöne Seiten zeigt. Parallel dazu erwarten uns relativ abwechslungsreiche, fordernde Rätsel und Spielmechaniken und eine recht interessante Handlung. Ich persönlich war positiv überrascht und lediglich die immergleiche Fahrstuhlmusik ging mir nach ein paar Spielstunden richtig auf die Nerven.

Leider fehlt der Handlung aber ein wirklich guter Spannungsbogen. Zwar ist der Aufbau grundsätzlich gelungen, aber der Höhepunkt ist im Vergleich zum Rest sehr kurz geraten. Zu lange tappen wir im Dunkeln, worum es überhaupt geht. Und kommt das Spiel endlich in Fahrt, wird dieser Moment nicht ausgekostet, sondern relativ rasch aufgelöst. Dafür wurde das Ende durch unnötig unlogische Rätsel ein wenig zu sehr in die Länge gezogen. Das Spiel ist stellenweise einfach viel zu langatmig. Dies mag vielleicht härter klingen, als es tatsächlich ist, aber es ist sichtbar, dass hier mehr drin gewesen wäre. Und das ist ziemlich ärgerlich.

Das Testament des Sherlock Holmes ist unterm Strich dennoch ein ziemlich unterhaltsames Adventure. Und wer sich in diesem Genre zu Hause fühlt, wird es für seine vielen kleinen, kreativen Ideen lieben. Nichts in diesem Spiel ist zufällig und alle Rätsel fügen sich gut in die Geschichte ein. Das zumindest ist Frogwares wirklich erstaunlich gut gelungen. Ein paar Hänger nimmt man dafür in Kauf, knobelt bis zum Schluss und wird dann mit einem überraschend zufriedenstellenden Ende aus dem düsteren London des 19. Jahrhunderts entlassen.

07 Gamereactor Deutschland
7 / 10
+
kombinieren, interessante Ideen, nette Präsentation, schönes Ende
-
langatmig, öde Musik
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

Ähnliche Texte



Lädt nächsten Inhalt