Deutsch
Gamereactor
Vorschauen
Detroit: Become Human

Detroit: Become Human

Eines der ambitioniertesten Projekte des französischen Studios Quantic Dream steht kurz vor dem Release - wir haben Detroit: Become Human umfangreich angespielt.

HQ

Markus steht im Bus. Hinten. Es ist nicht das coole Hinten aus dem Schulbus. Es ist das traurige Hinten aus dem Linienbus, in dem Lebewesen erster und zweiter Klasse getrennt fahren. In Detroit kannte man das, damals in Zeiten der Rassentrennung in den 1940er, 1950er und 1960er Jahren. Im Jahr 2038 trennt das Hinten Androiden von Menschen, mit einer simplen Glasscheibe. Sie teilt Welten. Aber bald schon wird der erste Schritt getan sein, um diese Trennwand zu zerstören. Die Androiden brechen aus, irgendwie. So viel darf verraten werden über den Plot von Detroit: Become Human. Irgendwie steht es ja auch schon im Titel.

In einer knapp zweistündigen Session habe ich mich durch die komplette Anfangssequenz gespielt, die die Geschichten der drei Protagonisten Markus, Connor und Kara einführt. Es sind drei sehr unterschiedliche Androiden, in deren Rolle wir schlüpfen. Unterschiedliche Aufgaben übernehmen sie in ihrem Alltag, agieren in sehr unterschiedlichen sozialen Kontexten. Connor ist ein Androiden-Cop, Markus ein fleißiger Alltagshelfer und Kara eine Art gerade mal volljährige Babysitter-Haushaltshilfe. Dieses Spektrum hilft sehr dabei, die starke Story aus jeweils sehr polarisierten Blickwinkeln zu erzählen. Sie macht nicht halt vor häuslicher Gewalt in unterschiedlichster Ausprägung, vor Demütigungen und Szenen mit kleinen Kindern, die einem wirklich zu Herzen gehen.

Es gibt zwei Spielmodi in Detroit: Become Human. Einen Casual-Modus, dessen weniger freie Kamera den Spieler stärker durch die Geschichte führt und weniger Tote fordert, wie Guillaume de Fondaumière, Chief Operating Officer von Entwickler Quantic Dream uns erklärt. Der andere Modus erlaube es erfahrenen Spielern, stärker die Kontrolle zu übernehmen. Klingt so, als ob hier eine interaktive Geschichte zum Miterleben und Mitmachen wartet - und genau so ist es auch. Wer Heavy Rain kennt, Fahrenheit oder Become: Two Souls, der darf sich auf mehr in diese Richtung freuen. Wer einen hektischen Shooter oder ein Adventure wie Uncharted will, sollte woanders schauen gucken.

HQ
Werbung:
Detroit: Become HumanDetroit: Become Human

Detroit: Become Human ist im positivsten Sinn ein eher langsames Spiel, in dem wir bisweilen sehr schnelle Entscheidungen treffen müssen. Jedes Level, jedes Episode, jedes Szenenbild oder wie immer man die einzelnen Passagen auch nennen will, folgt dabei derselben Grundidee. Wir werden in die Szene eingeführt, können sie aktiv und frei erkunden und bewegen uns langsam dem Höhepunkt entgegen. An dem müssen wir dann meist im Dialog darüber richten, was mit uns und den Menschen und Androiden um uns herum passiert. Es geht hier immer wieder um Leben und Tod. Und schon sehr früh können wir Protagonisten verlieren auf dem Weg zu einem der Enden des Spiels. Eine falsche Entscheidung verändert hier alles.

Das Gameplay ist also auf Entdecken und Analysieren ausgelegt. Wir erkunden die Szenerie, sprechen mit Beteiligten, verknüpfen Daten und legen uns eine mögliche Wahrheit zurecht. Immer wieder müssen wir Entscheidungen treffen, bewusst im Gespräch und unbewusster in dem, was wir tun oder eben auch nicht. Die Episode mit dem Androiden-Cop Connor in der Hauptrolle ist schon länger bekannt. Sie bildet quasi den Abschluss seiner Timeline kurz vor Ende des Intros. Hier gibt es sechs mögliche Enden, davor unterschiedliche Wege mit diversen Kreuzungen.

Wer stirbt oder überlebt, es hängt davon ab, wie schnell wir das Level durchspielen, wem wir welche Fragen stellen und was wir wie untersuchen oder eben auch nicht. Manche Gesprächsoption bleibt verwehrt, wenn man etwas nicht gefunden hat. Und stets bekommt man live serviert, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Androiden-Cop eine erfolgreiche Mission hinlegt. Was Erfolg ist, liegt dabei allerdings auch nochmal im Auge des Betrachters.

Werbung:
HQ
Detroit: Become HumanDetroit: Become Human

Es ist die größte Stärke von Detroit: Become Human, für mich persönlich. Hier werden Gefühle transportiert. Das Spiel regt etwas in mir, sehr real. Als Vater zum Beispiel spüre ich die Angst, so zu werden wie der üble Junkie-Dad Todd, dem wir als Androidin Kara dienen. Man sieht diese Todd-Option in sich selbst wie ein fernes Damoklesschwert, wie einen der Fäden, den man entwirrt in der ersten Episode „A New Home". Man sieht die Angst von seiner Tochter Alice vor ihrem Vater, spürt sie physisch. Alice im Wunderland, das ist sie nicht. Eher Alice in der Drogenhütte ihres Vaters, der auf seinem Lebensweg zu viele falsche Abzweigungen genommen hat. Natürlich kann das andere Spieler total langweilen, sich beim Spielen derartige Gedanken machen zu müssen. Ich finde genau das extrem unterhaltsam.

Weniger unterhaltsam dagegen sind die Quicktime-Events, von denen sich David Cage und sein Team bis heute nicht befreit haben. In der Episode von Kara und Todd etwa liefern sich beide Hauptfiguren am Ende einen intensiven Kampf, der über ein recht frei gestaltetes Quicktime-System orchestriert ist. Dennoch bleibt es QTE. Wegen der Inszenierung, würde Cage jetzt sagen. Der hat als Künstler natürlich eine konkrete Idee, wie etwas in seinem Spiel am besten erlebt werden sollte. Es würde Detroit: Become Human dennoch besser stehen, wenn diese QTEs nicht existieren würden. Vielleicht zeigt sich hier auch, wir kompliziert so ein Spiel in der Entwicklung ist, die ja auch einige Probleme hinter sich hat. Wichtige Mitarbeiter schmissen auf halber Strecke hin, offenkundig genervt vom Künstler David Cage. Vielleicht mag er auch einfach QTEs, wer weiß...

Die Freiheit zu Agieren ist im Spiel jedenfalls recht begrenzt. Detroit ist in den „freien" Sektionen am Anfang ziemlich verschlossen. Rote Balken verbieten einem wenig dezent den Weg zu allem jenseits der konkreten Aufgaben. Dabei fällt deutlich auf, dass alle Spielfiguren nach wie vor sehr statisch laufen, wenig locker aus der Hüfte. Ihr Tempo ändert sich kaum, es wirkt alles immer wieder wenig dynamisch, wenn wir irgendwo unterwegs sind. Man fragt sich auch, warum Android Markus seinen „Herrn" Carl, einen geralterten, tätowierten Künstler im Rollstuhl mit offenbar eigenartigen sexuellen Vorlieben, immer staksig im Rollstuhl in dessen Luxusvilla herumschieben muss. Carl könnte selbst viel besser fahren, seine Hände arbeiten prima. Oder das Teil fährt einfach selbst, es ist schließlich das Jahr 2038! Im Spiel führt dieser Umstand dazu, dass diese Szenen viel ungelenker rüberkommen, als es nötig wäre.

Trotzdem sieht alles in Detroit: Become Human sehr cool aus. Die Ausstattung ist sehr gelungen, das gesamte Setting ist glaubwürdig, stylish, cool - es passt so ziemlich alles, zumindest am Anfang, den ich gesehen habe. Auch die Details wurden nicht ignoriert. Straßenmusikanten spielen Musik „von echten Menschen", es gibt Demos und Shops zum Kaufen von Androiden. Immer wieder finden wir digitale Print-Magazine, deren Cover sich verändert, wenn wir auf dem Touchpad des Dualshock-Controllers swipen. Schöne kleine Idee. Auch der anderen Seite sind dann so Sachen wie der automatische Bodenstaubsaugerroboter, denn man erst manuell aktivieren muss. 2038, Herr Cage!

HQ
Detroit: Become HumanDetroit: Become Human

Bei der 4K-HDR-Optik liefert Quantic Dream absolut gekonnt ab. Da sieht alles schon sehr fett aus. Manchmal übertreiben sie es fast etwas. Es gibt sehr lange Einstellungen, in den sichtbar gefeiert wird, wie gut die Androiden aussehen. Echte Regentropfen auf unechter Haut, so ewig, dass selbst ein der Langsamkeit zugeneigter Blade Runner-Fan beginnt, unterm imaginären Kinosessel nach Popcornresten zu suchen. Detroit: Become Human ist schon immer wieder sehr langsam, nur um es noch mal „warnend" anzumerken.

Aber dafür denkt man eben viel nach. Über die Unzufriedenheit und den Frust der digitalen Arbeiterklasse, die per Gedankenübertragung die Rechnungen ihrer Besitzer bezahlt und empfängt. Um dann angegriffen zu werden von Demonstranten, deren Jobs sie vermeintlich geklaut haben. Als Carl, der alte Künstler, meinem Klavierspiel lauscht, dass ich als Markus übers Tippen auf dem Touchpad erklingen lasse, bemerkt er, dass sich mein Spiel verändert habe. Dass ich mich verändert habe. Er fragt: „Wer willst du sein, wer willst du werden?" Und rät: „Lass dir von niemandem sagen, wer du sein sollst!" Schon eine ziemlich universelle Lektion, so aus einem Videospiel heraus.

Der Sound und Soundtrack sind übrigens auch wirklich toll, ebenso wie die Schauspieler im Original und die Synchronisation in deutsch. Alles trägt dazu bei, hier ein Gesamtkunstwerk im besten Wortsinn miterleben zu dürfen, es mitgestalten zu können. Die Geschichte verwebt sich schon am Anfang langsam, die Handlungsstränge führen zueinander hin und wieder voneinader weg. Man versteht langsam, dass sich alles vorherige bedingt. Was man erkennt und sucht, hilft einem später dabei zu finden. Und zu entscheiden. Je genauer man schaut und erkundet im Spiel, um mehr Informationen hat man in der Hinterhand, um später die richtige Entscheidungen treffen zu können. Oder das, was man für die richtige Entscheidung hält.

Detroit: Become HumanDetroit: Become Human
Detroit: Become HumanDetroit: Become HumanDetroit: Become HumanDetroit: Become Human
Detroit: Become HumanDetroit: Become HumanDetroit: Become HumanDetroit: Become Human
Detroit: Become HumanDetroit: Become HumanDetroit: Become HumanDetroit: Become Human
Detroit: Become HumanDetroit: Become HumanDetroit: Become HumanDetroit: Become Human
Detroit: Become HumanDetroit: Become HumanDetroit: Become HumanDetroit: Become Human

Ähnliche Texte

2
Detroit: Become HumanScore

Detroit: Become Human

KRITIK. Von Stefan Briesenick

Mit menschenähnlichen Maschinen und einer Menge Feingefühl erklärt uns David Cage in seinem neuen Spiel, welche Eigenschaften gute Menschen mitbringen.



Lädt nächsten Inhalt