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Die Essenz von Zelda

Als sich die Tür hinter dem jungen Shigeru Miyamoto schloss, verwandelte sich das elterliche Haus plötzlich in ein Labyrinth. Es war beängstigend, aber vor allem auch spannend. Der kleine Entdecker war es nach all der Zeit, die er mit der Erkundung der Landschaften außerhalb Kyotos verbracht hatte, gewohnt verloren zu gehen. Ohne Karte oder Kompass hatte er tiefe Wälder, scheinbar verfluchte Ruinen und einen verborgenen See entdeckt.

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Aber vor der Höhle blieb er zögernd stehen. Er kam mehrmals hierher, fand aber nie den Mut, hineinzugehen. Bis er eines Tages eine Lampe und eine neue Entschlossenheit mitbrachte.

Der Rest ist wahrscheinlich bekannt. Die Legende darüber, wie die Legende eine Legende schuf. Shigeru Miyamoto wurde erwachsen, begann als Grafik-Designer bei Nintendo zu arbeiten und ließ seine Kindheitserinnerungen Einfluss nehmen auf seine Arbeit. So machte er einen Riesenaffen, einen Klempner und einen Hyrulianer zu Superstars. Das Labyrinth und die Höhle wurden zu Tempeln, die Lampe wurde virtuell. Die ehrgeizigeren seiner Ideen, die nicht zum linearen Super Mario Bros passten, legte er beseite für The Legend of Zelda - den ersten Teil einer Spieleserie, die bis heute sowohl Spieler als auch Kritiker für sich gefangen nimmt.

Die Essenz von Zelda
Damit begann alles: The Legend of Zelda für das Nintendo Entertainment System.

Die Geschichte von Link, Zelda, Ganon und des Triforce reicht weit zurück. Die Fans sehen etwas ganz Besonderes in den Zelda-Spielen, sie sprechen von "Magie". Die Frage ist: Was ist das Wesen von Zelda? Was ist die Essenz von Zelda?

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2006 drehte Nintendo-Chef Satoru Iwata in Vorbereitung auf die Veröffentlichung der Nintendo Wii unter dem Titel "Iwaka fragt" eine Interview-Reihe mit seinen Mitarbeitern. Jeder äußerte darin seine eigene Theorie über das Wesen von Zelda. Keisuke Nishimori meinte, dass "das Spiel immer darauf reagiert, was der Spieler zu tun versucht". Für Kentaro Tominaga lag es eher in den vielen Neben-Missionen. Yoshiyuki Oyama sagte, die Magie stecke in den wiederkehrenden Elementen der Spiele. Wie etwa in den Gegenständen, die Link benutzt - dem Bumerang zum Beispiel. Und Atsushi Miyagi meinte schlicht: "Wenn das Zelda-Team ein Spiel macht, dann ist es Zelda."

Die Fans, mit denen ich gesprochen habe, nannten immer sehr spezielle Dinge als dieses gewisse Etwas, das das Wesen von Zelda ausmacht. Oft waren das "unbedeutende" Details, oder sogar so etwas wie die Lebenssituation, in der sie sich befanden, als sie Zelda das erste Mal spielten. Bei mir ist es jetzt 23 Jahre her, dass ich das Original gespielt habe, The Legend of Zelda von 1987. Und die Musik, das Intro, die Höhle mit dem ersten Schwert haben sich tief in meine Erinnerung eingegraben. Aber auch der Name machte dieses Etwas für mich aus - Zelda, den Namen hatte sich Miyamoto von der Ehefrau des Autors Francis Scott Fitzgerald geborgt.

Die Essenz von Zelda
Viele Elemente aus dem Erstling sind heute noch Teil der Serie - dazu gehören auch Schwert und Schild.

The Legend of Zelda einem Genre zuzuordnen, ist schwer. Und Zelda II: The Adventure of Link machte die Sache noch komplizierter, weil es Levels und harte Action hatte. Nintendo machte sich Sorgen, dass die Spieler von dem neuen Konzept verwirrt sein könnten, nicht zu wissen, wohin Link eigentlich unterwegs war. Aber die Spieler liebten das Erkunden von Hyrule. Und ganz so, wie Miyamoto gehofft hatte, begannen sie, auf Schulhöfen und an ihren Arbeitsplätzen, Tipps und Strategien auszutauschen.

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Doch zur Perfektion kam das Spielkonzept mit The Legend of Zelda: A Link to the Past, das nach wie vor das beste Spiel der Serie ist. Auf dem Super Nintendo erschufen sie ein viel größeres Hyrule als je zuvor. Wir bekamen eine richtige Geschichte und mehr Items, Charaktere und Höhlen. Es waren interessante Charaktere, wie das Mädchen, das sich als Monster entpuppt. Und natürlich gab es da diesen einen, vielleicht traurigsten Moment in der gesamten Spiele-Historie, als der Flöte spielende Junge verschwand und sich in der Dunklen Welt in einen Baum verwandelte. Die Nachricht seines Todes dem trauernden Vater überbringen zu müssen, so etwas hatte es zuvor noch nie in einem Spiel gegeben. Mit A Link to the Past wurde die Zelda-Serie erwachsen.

Die Spiele sind voller kleiner Details, die einen auf eine Art und Weise befriedigen, die nur schwer zu erklären ist: Wie das Kürzen des Rasens in A Link to the Past, das Umhauen der Schilder in Ocarina of Time, oder die unterschiedlichen Reaktionen der Charaktere auf die verschiedenen Masken von Link in Majora's Mask. Und als sich die Schneemonster Yeto und Yeta in The Legend of Zelda: Twilight Princess umarmten, konnten wir die Herzen aufsammeln, die ihre Liebe um sie herum versprühte.

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Ein unvergesslicher Moment in The Legend of Zelda: A Link to the Past. Auf der Flucht mit Prinzession Zelda.

Die Zelda-Spiele erinnern uns daran, dass immer die unerreichbarsten Dinge diejenigen sind, die wir uns am meisten wünschen. Ich spreche natürlich über die Tempel, einen Kern aller Zelda-Spiele. Eine verschlossene Tür hat nie höhnischer gewirkt, als wenn wir ihretwegen in einem der vielen Paläste festsaßen. Gleichzeitig war das Gefühl des Triumphs nie größer, wenn es dann geschafft war, ein weiteres Rätsel zu lösen. Und obwohl der erfahrene Zelda-Spieler die meisten leichten Rätsel auswendig kennt (das Beschießen gerissener Wände oder das Anzünden aller Fackeln, um eine Tür zu öffnen), so kommen doch mit jedem neuen Spiel neue Items und Fähigkeiten hinzu.

Die Wirkung ist der Zwang, immer wieder neu zu denken. Die Monster sind nie die große Herausforderung - verschlossene Türen und Wände sind der größte Feind. Die Beziehung zwischen den Tempeln und uns wird intimer, Miyamoto erklärte uns, dass die Befriedigung bei der Eroberung eines Tempels mehr oder weniger dem Gefühl beim Lernen oder Studieren von etwas Neuem gleicht. Und er hat Recht: So fühlte es sich an, als mein Bruder und ich herausfanden, dass wir einen Pfeil in das Auge der Statue schießen müssen, um eine verborgene Tür in The Legend of Zelda: A Link to the Past zu öffnen - nachdem wir gefühlte Jahre an dieser Stelle festsaßen.

Die tödlichen Spiele der Saw-Serie sind nichts verglichen mit dem Wassertempel in Ocarina of Time, dem vielleicht schwierigsten Tempel in der ganzen Serie. Ein englisches Wörterbuch führt Water Temple sogar als Synonym für "break down", Zusammenbruch. Man kann also im Englischen Sätze sagen wie: "My work has really Water Templed me last week." Das Lösen von Rätseln ist somit ohne Zweifel ein weiterer Teil des Wesens von Zelda. Miyamoto behauptet, man arbeite an noch besseren, noch schwereren Rätseln für künftige Zelda-Titel.

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Auch kleine Rätsel-Einlagen tauchten immer wieder auf. Auf dem Super Nintendo brauchte man das Buch Mudora, um in den Wüsten-Tempel zu kommen.

Die Handlungsstränge in den Zelda-Spielen gehen, ehrlich gesagt, selten in die Tiefe. Aber ihre Stärke liegt auch eher in der Atmosphäre, der Umgebung, den Charakteren und im Gefühl. Link's Hang zur Flucht ist ein wiederkehrendes Thema, er verändert oft sein Äußeres und trägt verschiedene Gesichter. In Zelda II: The Adventure of Link musste er sogar eine Schattenversion seiner selbst bekämpfen. Heute mag so etwas ein häufig benutztes Sinnbild sein - aber 1988 war eine derart seriöse Symbolik in Videospielen selten anzutreffen.

Die Frage nach der Identität tauchte in The Legend of Zelda: A Link to the Past wieder auf, als Link in der Dunklen Welt eine korrupte Version von Hyrule sah. Die Menschen, die hier endeten, nahmen die Gestalt verdrehter Spiegelbilder ihrer Persönlichkeit an: Jemand, der ständig seine Meinung änderte, wurde zu einem springenden Ball, ein gieriger Goldgräber wurde zum Monster und Link selbst... wurde zu einem kleinen rosa Hasen. Die Verwandlung machte Link's Verunsicherung über den eigenen Mut offenkundig. In The Legend of Zelda: Ocarina of Time sprangen wir zwischen der Kindheit und dem Teeanger-Alter hin und her. In Majora's Mask wechselten wir mittels der 24 verschiedenen Masken ständig Gestalt und Gesicht.

Und dann ist da natürlich noch Link's Verwandlung in einen Wolf in The Legend of Zelda: Twilight Princess, die laut dem Produzenten Eiji Aonuma ein Symbol für die Angst vor der Pubertät darstellt. Die Zelda-Spiele erzählen eben nicht nur die Geschichte des Kampfes zwischen Gut und Böse, sondern auch die Geschichten von kleineren, privaten Kämpfen. Darin finden wir uns selbst wieder, die wir mit Zelda aufwuchsen und uns mit Zelda veränderten.

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Selbst auf dem Handheld, in The Legend of Zelda: Links Awakening, finden sich die typischen Elemente wieder.

Es gibt viele religiöse Interpretationen von Zelda. Der Kokiri-Wald und der Deku-Baum in Ocarina of Time können mit dem biblischen Garten Eden und dem Baum der Erkenntnis verglichen werden. Im selben Spiel tut Link es Jonas gleich und begibt sich in die gigantische Wasserkreatur Jabu-Jabu. In Wind Waker wird Hyrule von einer Flut heimgesucht. Und im Zentrum der Zelda-Mythologie steht das Triforce, das offensichtliche Parallelen zur Heiligen Dreifaltigkeit hat - und das alles ist nur die christliche Interpretation.

Die Musik hat von Anfang an einen großen Teil von Zelda ausgemacht. Koji Kondos oft verpielte, dann wieder epische oder beunruhigende Musik war immer interessanter als Grafik und Geschichte. Die Musik ist mit dem Gameplay verbunden, seit wir die Flöte im ersten Spiel gefunden haben, und sie wurde wirklich einzigartig mit dem Spielen der Ocarina in Ocarina of Time und dem heulenden Wolf in Twilight Princess. Sogar Akademiker interessieren sich für den Einsatz der Musik in der Serie, der Spieleforscher Zach Whalen verglich den Ocarina-Song mit "einer Spiegelversion von Wagners 'Leitmotiven'".

Obwohl die Bedeutung des Zelda-Hauptthema für die Spielewelt gleichzusetzen ist mit dem Star Wars-Thema für die Filmwelt, fehlte den Spielen immer diese Orchestrierung, wie sie etwa die Super Mario Galaxy-Spiele haben. Vielleicht ändert sich das im nächsten Spiel The Legend of Zelda: Skyward Sword. Darin lebt der erwachsene Link auf den schwebenden Inseln von Skyloft, als er in eine andere Welt gerufen wird, in der das Böse regiert. Die Ereignisse in Skyward Sword finden vor Ocarina of Time statt. Wie viele Referenzen an Ocarina of Time es im Prequel geben wird, ist noch nicht bekannt.

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The Legend of Zelda: Ocarina of Time ist ein Meilenstein der Videospielgeschichte.

Während Nintendo gerade über die Motion Plus-Unterstützung spricht, und wie wir unser Schwert schwingen und unseren Bogen abschießen, ist es doch eher das von Cezanne inspirierte Design, das unsere Vorstellungskraft beflügelt. In der Hauptsache wollen wir aber wahrscheinlich einfach nur Link und Hyrule wiedersehen, wollen in ein neues Abenteuer hineingezogen werden, wollen in Nostalgie baden. Und nostalgisch will ich enden.

Shigeru Miyamoto hat einmal gesagt: Manchmal erinnert man sich nach ein paar Jahren mit Nostalgie an einen Ort. Wenn man erwachsen wird und in eine schmale Gasse zurückkehrt, die man als Kind für eine riesengroße Straße hielt. Das haben wir in Ocarina of Time eingebracht: Manche Orte werden kleiner, wenn man als Erwachsener dorthin zurückkehrt.

Die Essenz von Zelda
Viele Spieler halten das Nintendo 64-Spiel für das beste Spiel aller Zeiten.

So ähnlich funktioniert auch die Erinnerung von Zelda-Spielern. Verglichen mit der riesigen 3D-Welt von heute fühlt sich das 22 Jahre alte The Legend of Zelda relativ klein an, wenn man es heute spielt. Damals aber war es das Größte, das Beste und das Schönste. Die Zehnjährigen von heute, die ihre ersten Schritte mit The Legend of Zelda: Twilight Princess machen, werden dieselbe Erfahrung machen wie ich vor meinem NES vor zwanzig Jahren. Zukünftige Spiele können größer und schöner werden - die Gefühle für das erste Spiel werden sie nie ersetzen. Vielleicht geht es Miyamoto ähnlich mit seinen Kindheitserinnerungen im Wald: Die bedeuten ihm vielleicht mehr als die ganze Arbeit mit den Zelda-Spielen.

Haben wir es geschafft, das Wesen von Zelda zu entschlüsseln und seine Essenz zu finden? Haben wir es geschafft, das Geheimnis der Macht dieser Spiele zu lüften? Es gibt zwei Antworten: Die langweilige ist, dass die Essenz von Zelda eine Kombination mehrerer Faktoren ist, wie etwa das Erkunden, die fordernden Rätsel, die suggestive Musik und die Nostalgie - und dass das Resultat größer ist als die Summe seiner Teile.

Aber da ist mehr als das. Streuen wir ein bisschen magisches Pulver über die Mischung - und wir erhalten die viel schönere Antwort: Bei Zelda geht es nicht um das Erschaffen einer Höhle. Es geht darum, eine Höhle zu erschaffen, die ein wenig zu angsteinflößend ist, um sie ohne eine Lampe zu betreten.

Die Essenz von Zelda
Wohin es den kleinen Hyrulianer wohl in seinen nächsten Abenteuern treibt?

Als die Tür aus kaltem Stein krachend hinter ihm zufiel, stand er in der letzen Kammer der Burg. Auge in Auge mit Ganondorf zu stehen war angsteinflößend, aber vor allem war es spannend. Die Monster von Hyrule zu besiegen, war kinderleicht für diesen jungen Spieler - aber Ganondorf würde kaum zu schlagen sein. Der Junge kehrte viele Male hierher zurück, aber er konnte seinen Widersacher nie besiegen.

Bis er eines Tages eine Fee im Glas und neue Entschlossenheit mitbrachte.

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