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Die Microsoft-Offensive: Was bedeutet die Akquise von Activision Blizzard für die Gaming-Industrie?

Weniger als ein Jahr nach der Übernahme von Zenimax Media möchte Microsoft das nächste Unternehmen schlucken, um weiter zu wachsen.

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Im September gab es erste Anzeichen einer gigantischen Studioakquise, die Analysten, Anwälte und vor allem die Gerüchteküche in den folgenden Monaten intensiv beschäftigen sollte. Spezifische Details wurden nicht geteilt, vielleicht weil sie zu abwegig erschienen. Stattdessen wurde diskutiert, ob Studios wie Sega oder Take-Two übernommen werden könnten - das sind Namen, die in diesem Kontext häufiger aufkommen. Microsoft wurde aus naheliegenden Gründen als Käufer bestimmt, denn die Taschen des Technikkonzerns sind tief (das Unternehmen hat zwischen dem 1. Juli 2021 und dem 30. September 2021 39 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet).

Die Dimension der Nachricht, die wir heute Nachmittag erhalten haben, übersteigt die alten Gedankenspiele aber bei Weitem. Microsoft bereitet die Akquise von Activision Blizzard für unglaubliche 68,7 Milliarde US-Dollar vor. Das entspricht dem achtfachen Wert von Zenimax Media und das kommt nicht von ungefähr. Bethesda, eines der wichtigsten Studios von Zenimax, hat ein Spiel, das über 30 Millionen Kopien verkaufen konnte. Activision veröffentlicht mit der Call-of-Duty-Serie jedes Jahr ein Spiel in dieser Größenordnung.

Die Microsoft-Offensive: Was bedeutet die Akquise von Activision Blizzard für die Gaming-Industrie?
Microsoft hat dieses Bild veröffentlicht, nachdem sie Bethesdas Marken übernommen haben. Bald könnten sich diesem Foto Crach Bandicoot, Warcraft-Orks und Captain John Price anschließen.

Das Unternehmen verfügt über Marken wie Crash Bandicoot, Guitar Hero, Spyro, Sekiro: Shadows Die Twice, Tony Hawk und viele, viele mehr. Diese Spiele werden von Unternehmen wie Beenox, Demonware, Digital Legends, High Moon Studios, Infinity Ward, Major League Gaming, Radical Entertainment, Raven Software, Sledgehammer Games, Toys for Bob und Treyarch entwickelt (um nur einige zu nennen) und all diese Subunternehmen könnten in Zukunft Microsofts Entwicklungskapazitäten stärken.

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Der Teil von Activision, der viele von uns wahrscheinlich am meisten interessieren wird, ist Blizzard. Früher war diese Firma sehr angesehen, doch das war lange bevor wir von sexistischen Übergriffen, der toxischen Atmosphäre und dem unfairen Umgang mit Minderheiten erfahren haben, die den Arbeitsalltag der MitarbeiterInnen dieses Unternehmens über Jahre bestimmten. Abgesehen von diesen katastrophalen inneren Umständen hat das Studio schon lange nicht mehr die Qualität abgeliefert, für die es einst geschätzt wurde. Dennoch sitzen die Entwickler auf einer Schatzkiste beliebter Franchise, darunter Diablo, Overwatch, Starcraft und Warcraft.

Die Microsoft-Offensive: Was bedeutet die Akquise von Activision Blizzard für die Gaming-Industrie?
Die Übernahme von Activision Blizzard ist die mit Abstand größte in der Gaming-Geschichte.

Sollte es Microsoft, die sich in den vergangenen Jahren vielerorts für Inklusion und den Abbau von Barrieren eingesetzt haben, tatsächlich gelingen, die inneren Konflikte dieses Unternehmens zu überwinden, dann besteht vielleicht wirklich die Chance, dass wir eines Tages ein Blizzard sehen, das zu alten Stärken zurückkehren kann. Einfach wird die Transformation nicht, denn das Studio hat über die Jahre viel verloren. Dass Blizzard nicht länger von Activision, die jährlichen Veröffentlichungen potentieller Megahits hinterherhetzen und alle anderen Projekte im Keim ersticken, zurückgehalten wird, ist sicherlich ein guter Anfang, denkt auch der Journalist Jason Schreier.

Bevor wir zum nächsten Thema kommen, müssen wir über King sprechen. Die schwedische Firma entwickelt Smartphone-Spiele und sie hat Activision 2015 satte 5,9 Milliarden US-Dollar gekostet. Das Unternehmen ist am ehesten bekannt für die Candy-Crush-Games, die jedes Jahr absurd hohe Gewinne generieren. In ihrem Portfolio befinden sich aber noch mehr Blockbuster-Titel, die unfassbare Mengen von Geld abwerfen.

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Die Microsoft-Offensive: Was bedeutet die Akquise von Activision Blizzard für die Gaming-Industrie?
Über King wird im Zusammenhang mit der Übernahme von Activision Blizzard nur sehr wenig gesprochen, aber es ist eine gewaltige Geldmaschine, die bald Zugang zu den starken Marken von Microsoft bekommen könnte.

Genau wie damals beim Kauf von Zenimax Media sind Diskussionen über erwartete Exklusivabkommen das Thema der Stunde. Diesmal scheinen die Leute allerdings verstanden zu haben, dass Microsoft das Geld nicht in die Hand nimmt, um der Konkurrenz dabei zu helfen, mehr Geräte zu verkaufen. Der Konzern nutzt seine Macht, um Spiele auf Formaten zu unterstützen, die ihnen einen wirtschaftlichen Vorteil bringen. Playstation- und Nintendo-Konsolen gehören nicht dazu.

Aus wirtschaftlicher Sicht ergibt es auch wenig Sinn, das viele Geld in die Hand zu nehmen und dann keine Veränderung herbeizuführen. Die Call-of-Duty-Spiele sind ja bereits auf der Xbox erhältlich und wenn der Konzern die Ego-Shooter im Game Pass vermieten wollen würde, wäre das sicherlich auch für einen Bruchteil der 70 Milliarden US-Dollar möglich gewesen, die die Studioakquise kostet. Weder die alten Klassiker, wie Crash Bandicoot oder Guitar Hero, noch die kommenden Titel von Activision Blizzard sind die verschwenderisch hohe Geldsumme wert, die Microsoft in die Hand nimmt. Dieses Geschäft dient einzig und allein dem Wunsch, das eigene Ökosystem attraktiver zu gestalten.

Die Microsoft-Offensive: Was bedeutet die Akquise von Activision Blizzard für die Gaming-Industrie?
Für viele von uns ist Blizzard die Schlagzeile dieser Übernahme. Hoffentlich kann das Unternehmen zu den alten Stärken zurückkehren, die sie vor der Fusion mit Activision hatten.

Akquisitionen dieser Größe benötigen einige Zeit, bis man die Auswirkungen bemerkt - die Integration alter Spiele in den Xbox Game Pass hat dagegen lediglich einen Werbeeffekt. Seit 2020, als Microsoft ankündigte, dass sie Zenimax aufkaufen werden, und dem heutigen Tag wurde noch kein einziges, Xbox-exklusives Spiel aus dem Hause Zenimax im Microsoft-Ökosystem veröffentlicht. Ironischerweise haben die Playstation-5-Spieler mit Deathloop einen temporären Exklusivtitel erhalten und Ghostwire Tokyo befindet sich ebenfalls auf den Weg zu Sonys Konsole. Das erste Microsoft-exklusive Spiel von Bethesda wird Starfield sein, das im November erwartet wird. Wir sehen also, dass es viele Jahre dauert, bis solche Abkommen Früchte tragen.

Da Sony seit langer Zeit die Marketingrechte an der Call-of-Duty-Serie besitzt, müssen sich Playstation-Spieler darüber vorerst vermutlich keine Gedanken machen. Die genauen Details dieses Abkommen sind nicht bekannt, deshalb können wir weder die Dauer noch den Umfang kommender Initiativen absehen. Wir wissen jedoch, dass diese internen Absprachen von Microsoft eingehalten werden müssen, da sonst hohe Strafen drohen. Bestehende Altverträge hat Microsoft bislang stets eingehalten (was unter anderem der Grund ist, warum sie momentan zwei Playstation-5-Spiele zeitexklusiv veröffentlichen), deshalb könnte die Reihe auch in naher Zukunft auf Playstation-Konsolen veröffentlicht werden - womöglich sogar mit zeitexklusiven Belohnungen. Nach Ablauf etwaiger Vertragslaufzeiten ist es allerdings sehr wahrscheinlich, dass die Marke ausschließlich auf PC und Xbox-Konsolen verfügbar sein wird.

Die Microsoft-Offensive: Was bedeutet die Akquise von Activision Blizzard für die Gaming-Industrie?
Es liegt auf der Hand, dass ein Spiel wie Call of Duty: Warzone weiterhin auf Sonys Konsolen existieren wird. Das muss für neue, kommende Spiele aber nicht ebenfalls gelten.

Die Restrukturierung des Battle.net-Clients ist eine Veränderung, auf die sich PC-Spieler ganz sicher einstellen müssen. Microsoft verkauft PC- und Xbox-Spiele im Microsoft Store und auf Steam und deshalb steht es außer Frage, dass Activisions und Blizzards Titel weiterhin exklusiv im Battle.net spielbar sein werden. Der Client wird vielleicht in der einen oder anderen Form bestehen bleiben, aber es ist unwahrscheinlich, dass er in Zukunft etwas anderem dienen wird, als ältere Activision-Blizzard-Spiele abzuspielen.

Microsoft kauft Activision Blizzard in einer interessanten Situation. Das jüngste Call of Duty ist hinter den Erwartungen zurückgeblieben, die Probleme von Blizzard haben wir ja bereits erwähnt und über all dem thront ein überbezahlter Manager (Bobby Kotick), der bei den Spielern fast einen ebenso schlechten Ruf genießt wie bei seinen eigenen Angestellten. Microsoft hat sich vor einigen Wochen sehr deutlich gegen den aktuellen CEO der Firma ausgesprochen, gegen den mehrere aktive Gerichtsverfahren laufen. Jetzt kaufen sie die Firma und ändern die Kommunikation sehr auffällig.

Der Geschäftsführer von Microsoft, Satya Nadella, sagte gegenüber Investoren: "In mehr als 30 Jahren als CEO von Activision Blizzard hat Bobby Kotick das Unternehmen zu einem der erfolgreichsten und einflussreichsten Unterhaltungsfirmen der Welt gemacht. Ich bin dankbar für seine Führung und sein Engagement hin zu einem echten Kulturwandel." Dieser Kommentar ignoriert all die Vorwürfe, die sich aktuell gegen den Manager auftürmen.

Die Microsoft-Offensive: Was bedeutet die Akquise von Activision Blizzard für die Gaming-Industrie?
Die Xbox-Sparte ist unter Phil Spencer enorm gewachsen. Der Xbox Game Pass hat inzwischen 25 Millionen Benutzer.

Xbox-Chef Phil Spencer wählt auf Xbox Wire einen anderen Ton: "Als Unternehmen engagiert sich Microsoft auf allen Ebenen für das Thema Inklusion, sowohl bei Mitarbeitern als auch bei den Spielern. Wir legen großen Wert auf individuelle Studiokulturen und glauben, dass kreativer Erfolg und Autonomie damit einhergehen, jeden Menschen mit Würde und Respekt zu behandeln. Wir verpflichten alle Teams und alle Führungskräfte zu dieser Einstellung. Wir freuen uns darauf, unsere Kultur der proaktiven Einbeziehung auf die großartigen Teams von Activision Blizzard auszudehnen."

Spencer erinnert daran, dass Activision Blizzard und Microsoft zwei separate Unternehmen sind, bis das Geschäft vollständig abgeschlossen ist: "Bis zum Abschluss dieser Transaktion werden Activision Blizzard und Microsoft Gaming weiterhin unabhängig voneinander agieren. Sobald der Deal abgeschlossen ist, wird das Geschäft von Activision Blizzard an mich als CEO von Microsoft Gaming berichten." Der Xbox-Chef macht deutlich, dass das Management von Activision an Einfluss verlieren wird, allerdings ist unklar, welche Rolle Kotick in Zukunft einnehmen wird. Fans und ein großer Teil der Angestellten wären nicht sehr glücklich darüber, wenn der Mann weiterhin bleiben dürfte, aber momentan wird über Personalwechsel nicht offen gesprochen.

Eine direkte Konsequenz möglicher interner Umstrukturierungen könnten das Ende der jährlichen Call-of-Duty-Ableger sein. Microsoft hat Halo Infinite viele Jahre zurückgestellt und damit deutlich gemacht, dass sie ihren Teams die Zeit geben, bessere Spiele zu erarbeiten und neue Ideen auszuprobieren. Ob das wirklich geschieht, ist eine andere Sache, aber wir würden uns darüber freuen, wenn die Call-of-Duty-Entwicklerteams ihren Horizont erweitern könnten. Warum sollten sie in Zukunft nicht an der Halo-Serie arbeiten? Crossover sind generell denkbar, denn Joanna Dark verdient einen Gastauftritt in Overwatch, denkt ihr nicht auch? Und wo wir schon dabei sind, Toys for Bob (Crash Bandicoot 4: It's About Time) hat sicherlich ein paar Ideen für Banjo Kazooie...

Die Microsoft-Offensive: Was bedeutet die Akquise von Activision Blizzard für die Gaming-Industrie?
So sähe Microsofts Gaming-Sparte nach der Übernahme von Activision Blizzard aus. Das Bild stammt von Xbox News.

Ich glaube, dass dieses Geschäft vielleicht schon im Herbst abgeschlossen sein wird. Garantiert wird Microsoft diese monumentale Fusion mit einem großen Livestream-Event begleiten, genau wie sie das mit Bethesda getan haben. Es wird einige Zeit dauern, bis wir einen Microsoft-exklusiven Blockbuster aus dem Hause Activision sehen werden. Selbst wenn die Firmen noch dieses Jahr mit einer entsprechenden Kooperation anfangen, werden wir vermutlich erst 2026 Spiele sehen, die unter der Direktion von Phil Spencer bei Activision in Auftrag gegeben wurden. Das Ausmaß dieses Geschäfts wird sich also bis zum Ende dieser Konsolengeneration kaum ausmalen lassen.



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