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Journey

Journey

Emotionen sind das höchste, was Spiele in uns wecken können. Wem es gelingt, der reserviert sich einen festen Platz in unseren Herzen. Thatgamecompany will auf Nummer sicher gehen, nicht vergessen zu werden. Sie haben mit Journey ein Spiel geschaffen, dessen einziger Zweck es ist, in uns Gefühle zu wecken.

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Wir glauben zu wissen, was real ist und was nur Fiktion. Wir meinen es zu fühlen, unterscheiden zu können, wann wir träumen. Doch sind Gefühle immer echt? Können wir sie kontrollieren und uns auf sie verlassen? Klar, ein trauriger Film bringt uns zum Weinen, ein lustiger zum Lachen. Was aber, wenn wir etwas erleben, das überhaupt nicht real ist und uns trotzdem bewegt. Was, wenn es einem Spiel gelingt, eine Mauer abzubauen - eine Mauer zwischen der Realität und dem, was nur in unserem Kopf stattfindet?

Stellen wir uns also vor, wir sind ganz mutterseelenallein irgendwo inmitten einer Wüste. Der Himmel ist in strahlendes Sonnenlicht getaucht, endlose Weiten und alles, was wir sehen, ist Sand. Klettern wir auf eine Düne, ist da nur noch mehr Sand - doch dann erblicken wir am Horizont einen riesigen Berg. Er ist das Einzige, was aus dieser trostlosen Welt heraussticht. Wir wissen nicht, was uns dort erwartet, aber er ist alles, woran wir uns klammern können und daher machen wir uns auf, ihn zu erreichen.

Und dann auf einmal sehen wir Spuren im Sand. Wir folgen ihnen schnell und plötzlich steht eine weitere Person vor uns. Sie kam aus dem Nichts, genau wie wir. Am liebsten würden wir vor Freude aufspringen und ihr um den Hals fallen. Doch unsere Mittel der Interaktion sind begrenzt. Und dabei sind wir doch so neugierig, wen es noch hierher verschlagen hat. Wie heißt der Unbekannte? Oder handelt es sich vielleicht eine Frau? Wo kommt die Person her? Welche Sprache spricht sie wohl? Ob sie uns mag?

Journey
Wir unternehmen eine außergewöhnliche Reise, die wir so schnell nicht vergessen werden.
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Aber eigentlich das ist alles egal. Kommunikation funktioniert in Journey sowieso ganz anders. Es gibt keine Sprache, keine Schrift oder irgendwelche Kurzbefehle zur Verständigung. Alles wird durch Bilder und Zeichen erklärt und das meiste bleibt abstrakt. Immerhin können wir mit mit einem visuell-akustischem Signal auf uns aufmerksam machen. Ein leuchtender, kreisförmiger Strahl wird abgesendet. Reagiert die Person? Begrüßt sie uns ebenfalls oder zieht sie einfach weiter?

Wir spüren plötzlich ein Gefühl. Es ist kein schönes Gefühl, aber es kommt uns vertraut vor. Oh, bitte lass' die Person antworten - wie gerne hätten wir einen Begleiter auf unserer Reise. Sie muss sich doch genauso alleine fühlen, hier in dieser trostlosen Wüste. Vielleicht ist sie uns nützlich auf unserer Reise. Vielleicht entdeckt sie Geheimnisse, die uns ohne ihre Hilfe verborgen geblieben wären. Und eigentlich muss sie doch auch froh sein, endlich jemanden getroffen zu haben. Oder etwa nicht?

Einsamkeit, das ist das Gefühl, vor dem wir uns fürchten. Alleine ist niemand gern, es zerfrisst uns, macht uns Angst, auch wenn sie unbegründet ist. Einsamkeit macht uns selbst dann noch Angst, wenn sie, wie in diesem Fall, nicht einmal real ist. Es ist nur ein Spiel und wir kennen die Person nicht. Aber das ist es, was Thatgamecompany so wunderbar einfängt. Sie haben alle wichtigen Gefühle auf einer fiktiven Reise verewigt, die uns berührt. Journey ist ein großes Abenteuer mit einer leichten spirtuell-religiösen Note. Das Spiel ist bis ins letzte Detail durchkomponiert und besitzt eine wunderbare Spannungskurve und auch ein Ende, das aber jeder auf seine eigene Art und Weise interpretieren wird.

Die Leichtigkeit des in Tücher gehüllten, mysteriösen Charakters sorgt dafür, dass wir nach einem Sprung ein wenig schweben. Finden wir weitere Stoffe, können wir sogar noch weiter aufsteigen. Die Steuerung ist allerdings sehr einfach gehalten. Die Kamera wird mit den Bewegungssensoren des Controllers gesteuert, wir nutzen den Anlogstick, es gibt einen Knopf zum Springen und einen zum Rufen. Mehr braucht man nicht.

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Die Kunst der Reduktion, sie wurde fabelhaft angewandt, Journey konzentriert sich in allen Bereichen nur auf das Wesentliche. Die fantastische Akustik nimmt sich an den vielen Stellen zurück, ist aber an den richtigen Stellen echt stark. Es ist auch nicht nur die sanfte Musik, die uns schon bei Flower und Flow gefesselt hat. So klingt das Geräusch, wenn wir beispielsweise über eine Brücke aus Stoff laufen, wunderschön. Und wer schon einmal große Stofffetzen im Wind hat flattern hören, kann sich vorstellen, auf was sich die Ohren freuen dürfen.

Jenova Chen, Creative Director von Journey, beschreibt die Idee für das Leitmotiv mit einem Astronauten, den er einmal getroffen hat. Der war auf dem Mond, er hat ein Raumschiff gesteuert. Eigentlich glaubt man dann nicht mehr an Gott, aber doch werden diese Menschen oft spirituell und christlich. Was also passiert da oben? "Es gibt etwas, das heute fehlt", erzählt Chen. "Wenn man auf dem Mond steht und die Erde sieht, ist sie nur sehr klein. Alles was man weiß und kennt, ist dann auf einmal winzig. Und die Frage, die man sich dann zwangsläufig stellt, ist: 'Was machen wir eigentlich hier?' Dieses ganz bestimmte Gefühl fehlt vielen Menschen."

Journey
Wir treffen in Journey immer nur genau eine andere Person - mit der können wir unsere Erlebnisse teilen.

Und auch wenn Journey uns so aufwühlt, es bleibt bei allem abstrakt und ein Spiel. Es ist auch deutlich näher an der klassischen Erfahrung als etwa Flower. Dieser Titel wollte uns auch emotional berühren, aber ist genau genommen nur eine Skizze von dem, was die Entwickler nun auf die Leinwand gebracht haben. Allein ist die Reise bereits wunderbar, aber gerade die Mehrspieler-Erfahrung ist unvergleichlich. Wir treffen immer nur eine andere Person gleichzeitig. Erst wenn sich unsere Spuren verlieren, können wieder jemand anderen treffen. Und ja, es gibt am Ende auch einen Weg herauszufinden, wen man auf seiner Reise alles getroffen hat. Aber darum geht es eigentlich gar nicht.

Genauso wie es nicht darum geht, endlose Stunden von dem Spiel gefesselt zu sein. Die Spielzeit beträgt lediglich geschätzte zwei bis drei Stunden. Die Idee dahinter ist, dass wir Journey mit einer Person ohne Unterbrechung durchspielen können. Denn es geht auch nicht darum, zwischendurch nur mal ein bisschen Spaß zu haben. Es ist vielmehr ein großes Experiment. Lässt man sich darauf ein, bietet es die Chance, ein starkes Band zu knüpfen. Die Reise und die gemeinsamen Erlebnisse können zwei Menschen auf eine ganz besondere Weise verbinden. Und es soll uns dazu bringen nachzudenken. Über uns selbst, aber vor allem auch über andere.

10 Gamereactor Deutschland
10 / 10
+
wunderschöne Präsentation, reduziert auf das Wesentliche, es berührt, die perfekte Mischung aus Spiel und Erlebnis
-
zeigt uns, wie einfach sich Gefühle nachahmen lassen
overall score
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