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Mass Effect: Andromeda

Mass Effect: Andromeda

Bioware hat die Sci-Fi-RPG-Serie in eine neue Galaxie befördert, doch hat die bedeutende Formel die Reise gut überstanden?

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Es ist einige Jahr vergangen seit der Geschichte von Shepard und den Reapern. Zumindest ist genügend Zeit vergangen, um einen unersättlichen Appetit auf ein neues Mass Effect zu bekommen. Mass Effect: Andromeda ist dieses neue Spiel und es soll sowohl das Franchise fortführen als auch der Abschied von der originalen Trilogie sein. Die klassischen Elemente von Mass Effect wurden mit einer Reihe neuer und überarbeiteter Mechaniken angereichert. Bioware hofft ohne Frage, dass dieser erkundungslastige Neuzugang der Start einer frischen, epischen Geschichte am Rande des Untergangs wird, bei der Action und die vom Spieler getroffenen Entscheidungen Hand in Hand gehen und für eine ganz individuelle Erfahrung sorgen.

Hier spielen viele Faktoren eine Rolle - und trotz oder vielleicht gerade wegen dieses Erbes wurde Mass Effect: Andromeda ein weitläufiges, glorreiches, schreckliches, fesselndes Spiel, das ebenso viel richtig wie falsch macht. Die Meinungen werden gespalten sein - ohne Frage - und während manche Spieler die vielen Eigentümlichkeiten verzeihen können und das Abenteuer genießen, werden noch mehr von den Limitierungen eines Titels abgestoßen werden, der sich heute so alt anfühlt wie Mass Effect 3.

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Das Andromeda-System hat visuell einiges zu bieten. Trotzdem ist die Präsentation eine Wundertüte.
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Es wurden im Netz schon viele Späße über Andromedas technische Fehler gemacht. Man durfte Gameplay-Clips im Stil von Monthy Pythons "Ministry of Silly Walks" bewundern, während sich andere über die seltsamen Gesichtsanimationen lustig machen. Der merkwürdige Gang hat mich bei meinem Spiel nicht gestört, aber ich will nicht leugnen, dass einige der Geschichts-Animationen schon äußerst armselig sind und dadurch die Konversationen untergraben, die sie eigentlich verstärken sollen. Bioware hatte schon immer Probleme mit der Darstellung der Augen und das ist so geblieben. Aber starre Gesichter und leere Gesichtsausdrücke arbeiten gegen die Emotionen des Skripts. Für ein Spiel dieser Größenordnung bleibt nicht viel Positives zu sagen, außer dass auch eine kaputte Uhr zweimal am Tag richtig tickt. Ab und zu passen die ausdruckslosen Gesichter eben auch ganz gut oder wirken versehentlich nachdenklich.

Die Optik ist ohnehin eine Wundertüte. Einige Texturen könnten schärfer sein (ich habe auf der Xbox One gezockt, auf einem ordentlichen PC oder der PS4 Pro sieht Mass Effect: Andromeda ein wenig besser aus), aber das Design ist brillant. Andromeda ist ein Mass Effect, dass interessante Alien-Architektur mit erstaunlich gut realisierten Welten verbindet, die danach schreien, erkundet zu werden. Die neuen Feinde - die Kett - überzeugen stilistisch ebenfalls.

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Mass Effect: Andromeda ist ein Rollenspiel, aber das Ballern hat Wumms und Kinetik.

Bioware hat einen fast beispiellosen Ruf für gut geschriebene Videospiele und ein Stückchen dieser Qualität hat es auch in das Andromeda-System geschafft. Trotzdem fallen überraschend viele Dialoge auf, die völlig daneben liegen. Protagonist Ryder hat mehr Attitüde, als man es aus früheren Spielen gewohnt ist. Und Fryda Wolff und Tom Taylerson machen einen guten Job, sie im englischen Original zum Leben zu erwecken. Übrigens klingt Scott Ryder ein kleines bisschen zu sehr nach Nathan Drake, aber okay. Das Voice-Acting ist insgesamt gut, auch der Rest des Ensembles liefert eine ordentliche Vorstellung.

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Von den Ryder-Zwillingen - eine schicke Idee, dass die Figur, die man nicht gewählt hat, als NPC im Plot auftaucht - bis zu den Crew-Mitgliedern und den zufälligen Figuren, die man unterwegs trifft, haben mich die Charaktere in ihrer Gesamtheit weniger gepackt, als es die Vorgänger-Spiele vermochten. Das ist sicherlich keine leichte Aufgabe, nach drei Spielen und Hunderten von Stunden mit Shepard, aber ich habe es trotzdem irgendwie gehofft.

Von der Geschichte will ich eigentlich gar nichts verraten, nur so viel: Die Spezies aus der Milchstraße machen sich mit einer riesigen Flotte gigantischer Schiffe auf eine 600-jährige Reise zu unserem galaktischen Nachbarn, dem Andromeda-System, um sich dort niederzulassen. So einfach ist das natürlich nicht, denn als sie in ihrer neuen Heimat, dem Heleus-Cluster ankommen, hat sich die Flotte geteilt und die Situation wird feindlich. Es ist ein großartiger Hintergrund für das Abenteuer, meine einzige Beschwerde ist, dass einfach nicht genug daraus gemacht wurde. Bei der Ankunft an diesem fremden Ort gab es die Gelegenheit, das Setting und unser Verständnis davon, wie es ist, das Unbekannte zu erforschen und in feindlicher Umgebung Fuß zu fassen, zu etablieren. Stattdessen fällt Andromeda schnell zurück in bekannte Mechaniken und das übliche RPG-Bioware-Zeug, um seine Geschichte zu erzählen.

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Sobald sich das Spiel öffnet, verliert man den Fokus, denn es gibt viel zu tun.

Die Hauptgeschichte ist Gott sei Dank ziemlich okay. Sie kann trotzdem nicht mithalten mit dem, was Fans aus den ersten drei Teilen kennen. Naja, aber da haben wir halt auch die verdammte Galaxis gerettet, um das zu toppen, braucht es schon einiges. Die Geschichte kommt am Ende zumindest nah ran und einige der Missionen machen richtig Spaß. Hinzu kommen einige nette Bosskämpfe und ein mitreißender Plot. Man will wirklich mehr über den neuen Feind und sein Zuhause erfahren. Bioware hätte sich einfach mehr Zeit mit dem Intro nehmen müssen.

Einige der Nebenmissionen sind richtig gut, aber wie üblich variiert hier die Qualität stark. Es gibt viel zu tun, Sonnensysteme scannen oder nach Erzen graben. Vor und nach der Hauptgeschichte kann man einige nebensächliche Aufgaben übernehmen und es gab auch nach dem Abspann noch etliche Missionen mit frischen Herausforderungen, um das Abenteuer auszudehnen.

Bei meinem Abenteuer war der Einfluss eines anderen Bioware-Spiels unübersehbar, nämlich Star Wars: The Old Republic. Manche der Örtlichkeiten sind gigantisch und sie zu erkunden, braucht seine Zeit. Überall finden sich kleine Basen voller Gegner und das ist großartig, denn die Kämpfe sind fantastisch. Doch manchmal wird das Kämpfen übertrieben - kurz nach dem Verlassen des Ortes tauchen die Feinde nämlich schon wieder auf. So bleibt der Sandkasten zwar immerhin geschäftig, aber manchmal wirkt Andromeda dadurch wie ein MMO und nicht wie ein Einzelspieler-Abenteuer.

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Die Story ist zum Glück okay, viele Nebenmissionen haben mir nicht weniger Spaß gemacht.

Das Schönste an Mass Effect: Andromeda sind ganz sicher die Kämpfe. Bioware versorgt uns mit einer Vielzahl von Optionen und davon habe ich selbst nach über dreißig Stunden gerade mal die Oberfläche angekratzt. Die biotischen Kräfte sind wieder dabei und werden mit einer Mischung von Waffen aus vier Kategorien (Pistolen, Sturmgewehren, Schrotflinten und Scharfschützengewehren) kombiniert und dann wären da noch die Tech-Kräfte für weitere taktische Optionen. Drei Fähigkeiten lassen sich Schnelltasten zuweisen und man muss sich entscheiden, ob man seinen Schwerpunkt auf drei bis vier Fähigkeiten legen will oder die Punkte weitläufiger verteilt und Optionen für unterschiedliche Szenarien nutzt.

Das Ballern selbst ist kinetisch und hat Wumms. Es arbeitet ein RPG-System im Hintergrund, aber man sieht keine Zahlen. Besonders das neue Jet-Pack macht einen großen Unterschied in der Bewegung und im Kampf. Flexibilität ist alles und die individuellen Systeme fühlen sich sehr unterschiedlich an. Man kann verschiedene "Profile" freischalten, die auf bestimmte Kampfsituationen spezialisiert sind. Ein tolles Setup, denn je mehr ich auf Zeug geballert habe, desto mehr Spaß hatte ich.

Nach jeder Mission werden die Ereignisse auf unserem Schiff - der Tempest - diskutiert. Hier bauen wir die Beziehungen zu unserer Crew aus - natürlich auch romantischer Natur. Man darf rumbaggern wann immer man will, Bioware-typisch müssen wir nur lang genug quatschen, denn irgendwann erliegen sie alle unserem Charme. Bioware hatte versprochen, dass es heiß hergehen würde, aber ich fand das Ganze hielt sich in Grenzen. Wenn ihr nicht grade mit einem Schäferstündchen beschäftigt seid, gibt es da noch die Team-Meetings und generelle Besprechungen, E-Mails oder Video-Anrufe und man kann sein Squad auflevel. Spezial-Kräfte dürfen auf Erkundungstour gehen, um zusätzliche Belohnungen zu bergen und wer will, verbindet sich einfach mit dem Multiplayer. Und da es auf der Brücke meist gemächlich zugeht, bleibt auch endlich die Zeit, die verschiedenen Erfahrungs- und Forschungspunkte einzulösen, die man sich unterwegs verdient hat.

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Im Koop-Modus ballern vier Spieler Wellen von Feinden weg, um unterschiedliche Ziele zu absolvieren.

Wenn überhaupt, dann ist im Weltall fast ein wenig zu viel am Start und man verliert schnell die Übersicht oder den Fokus. Wer häufig mit dem Scanner spielt und fleißig Außenmissionen bestreitet, erhält drei Arten von Forschungspunkten für drei unterschiedliche Fertigkeiten-Bäume. Außerdem darf Ryders Crew aufgerüstet werden und Fähigkeiten sowie passive Buffs warten ebenfalls darauf, verteilt zu werden. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung wirkt ein bisschen zu kompliziert, denn die Dinge dort werden einfach nicht klar genug definiert. Tatsächlich ist das gesamte Interface überladen mit Dingen, die man einstellen und lesen soll. Auf der anderen Seite bietet uns Mass Effect: Andromeda hiermit ebenjene Tiefe, die andere Spieler vielleicht mögen.

Noch mehr Tiefgang bietet der Koop-Multiplayer. Er ist mit der Einzelspielerkampagne verbunden, aber nicht so wie bei Mass Effect 3. Hier kämpfen Teams aus vier Spielern gegen Wellen von Feinden, wobei sich die Aufgaben in jeder Runde verändern. Am Anfang stehen nur die unterschiedlichen menschlichen Klassen zur Auswahl, denn man muss eine Zeitlang spielen, bevor die außerirdischen Alternativen interessant werden. Die Formel gleicht im Ansatz der aus Mass Effect 3, aber die Kämpfe stehen deutlich im Vordergrund. Wer sein Abenteuer noch ein bisschen ausdehnen möchte, findet hier viele Gelegenheiten. Auf der Xbox One hatte ich keinerlei Probleme, aber die PC-Version scheint zum Launch durchaus technische Probleme zu haben.

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In unserem Schiff überblicken wir die Lage und bauen das Verhältnis zu unserer Crew aus.

Im Andromeda-System geht einiges ab: Eine lange Kampagne, jede Menge Nebenmissionen und ein Multiplayer mit ordentlich Tiefgang warten auf uns. Doch nicht alles passt so gut zusammen, wie es sollte. Lücken im Plot, eine unzusammenhängende Erzählweise und gruselige Gesichter dämpfen das Vergnügen. Die Mass Effect-DNA ist da, aber Andromeda kann mit seinen Vorgängern nicht mithalten. Die Geschichte um die Menschheit mitsamt ihrer Freunde und deren Versuch, diese fremde Ecke der Galaxie zu kolonisieren, ist ein schöner Hintergrund. Aber man hätte daraus mehr machen müssen - zu schnell verlässt sich Bioware auf Altbewährtes. An manchen Stellen kommt das Spiel in Fahrt und es gab Momente, in denen ich eine großartige Zeit hatte (vor allem wenn die Dinge durchscheinen, die Bioware-Rollenspiel so großartig machen und man tief ins Abenteuer eintaucht). Insgesamt hatte ich aber doch das Gefühl, das Spiel liefert nicht richtig ab.

Ein verbuggter Launch wird es nicht leichter machen, über diese Mängel hinwegzusehen. Mass Effect: Andromeda hat nicht die gleiche Kohäsion, die aus der ursprünglichen Trilogie einen Klassiker gemacht hat. Es gibt Parallelen zum Unterschied zwischen Star Wars: Knights of the Old Republic und dem Sequel von Obsidian, das auch die gleichen Zutaten wie der Vorgänger hatte, aber trotzdem zurückfiel. Ich will jetzt aber auch nicht zu negativ klingen, denn ich bin für viele, viele Stunden in das Abenteuer eingetaucht und hatte dabei eine Menge Spaß. Das Spiel hat genug DNA der Serie erhalten und Fans werden das Abenteuer genießen. Doch jetzt, nachdem sich der Staub meines ersten Besuchs in Andromeda gelichtet hat, werde ich das Gefühl nicht los, dass die Serie ihre ruhmreichen Zeiten in der Milchstraße verloren hat.

08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
gewaltiges Spiel mit etlichen Beschäftigungen, unterhaltsame Missionen und interessante Entscheidungsmöglichkeiten, einige Designentscheidungen sind unglaublich, fantastischer Kampf, taktischer Koop-Modus
-
einige dämliche Gesichtsanimationen, Skript fühlt sich manchmal ungelenk an, Polishing fehlt, Kohäsion des Originals fehlt
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