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Need for Speed

Need for Speed

Unterm Strich liefert Ghost Games hier ein sehr ordentliches, aber auch ein stückweit absolut typisches Need for Speed ab.

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Need for Speed gehört zu den ältesten und erfolgreichsten Videospielserien. In über 20 Jahren sind an die zwei Dutzend Titel für fast jedes erdenkliche System veröffentlicht worden - im Schnitt also ein Spiel pro Jahr. Zwischendurch gab es auch immer mal wieder Unzufriedenheit bezüglich der Qualität. Gerade technisch hatten die Games mit Wehwehchen zu kämpfen und Hardcore-Gamern waren sie oft zu weichgespült. Mangelnde Innovationen kann man der Serie hingegen nicht vorwerfen, es wurden immer wieder neue Ansätze ausprobiert. Auch Reboots von älteren Serienteilen stehen seit dem 2010er Need for Speed: Hot Pursuit hoch im Kurs, damals lieferten die Burnout-Schöpfer Criterion Games mit dieser Neuinterpretation ein rundum überzeugendes Game ab.

Der neueste Streich trägt zwar - auch ganz modern - gar keinen Untertitel, orientiert sich aber an Need for Speed Underground und Need for Speed: Carbon. Das heißt, die Entwickler von Ghost Games, die sich zum Großteil aus ehemaligen Criterion-Mitarbeitern zusammensetzen, inszenieren wieder illegale Straßenrennen bei Nacht. Dabei beginnt das Spiel fast mit einem Schock, denn die Grafik ist geradezu fotorealistisch und stellt rein unter diesem Aspekt wohl erst einmal alle anderen Rennspiele in den Schatten. Natürlich wurde dabei mit etwas unlauteren Mitteln gekämpft, denn die Optik erhält ihre Wirkung nicht zuletzt durch viele video-artige Filter wie Überstrahlungen, Lichtsäume und Reflektionen auf den meist nassen Oberflächen, die auch immer mal wieder durch Regenschauer glaubwürdig aufgefrischt werden. Dazu sind die Straßen der fiktiven Metropole Ventura Bay auch ziemlich ausgestorben. Aber der Effekt dieser bombastisch wirkenden Grafik ist einfach grandios und erschafft eine unglaublich tolle Atmosphäre, die nicht zuletzt an die ersten drei Teile von The Fast And The Furious erinnert.

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Auf dem Weg durch dieses verzweigte Straßennetz gerät nach der atemberaubenden Grafik auch schnell das Fahrgefühl der Vehikel in den Fokus - und das kann mit der Optik leider nicht mithalten.
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Um den cineastischen Aspekt weiter zu unterstreichen, haben die Macher es mal wieder gewagt, real gefilmte Videosequenzen in ihr Werk einzubauen. Diese Technik wanderte schon zu ihrer Ursprungszeit in Titeln wie Command & Conquer und Wing Commander 3 auf dem schmalen Grat zwischen Genialität und purem Trash. Beim Thema Street Racing kommt noch eine extreme Dosis übercooler (Pseudo-)Jugendsprache dazu, was je nach persönlicher Präferenz unterhaltsam oder unaushaltbar wahrgenommen wird. Zumindest sind die Szenen wirklich professionell inszeniert, ausgestattet und gespielt.

Ein besonders cooler Effekt ist, dass der eigene Wagen als Computermodell in diese Realfilm-Sequenzen integriert wird, und zwar mit all seinen visuellen Modifikationen, von denen das Spiel wirklich eine Menge bietet. Das macht diese Filmschnippsel interessant und innovativ, auch wenn der Informationsgehalt der Dialoge meist gegen null tendiert. Generell geht es in der Story darum, dass in einer Clique aus fünf Autonarren je einer der Buddies für die Spezialgebiete Speed, Style, Crew, Tuning und Outlaw steht. Wir können durch das Fahrverhalten in den entsprechenden Kategorien hochleveln und damit irgendwann das Interesse der "Ikonen" der jeweiligen Sparte auf uns ziehen. Dazu wurden real existierende PS-Legenden gewonnen, zum Beispiel der Gymkhana-Experte Ken Block für "Style" oder der Porsche-Freak Magnus Walker für "Speed". Mit steigendem Skill stehen dann irgendwann auch Begegnungen mit diesen Idolen und ihren meisterlich gestalteten Karren an.

In der Praxis sieht das Hochleveln so aus, dass es auf der frei befahrbahren Straßenkarte verschiedene Events gibt, die einer der Kategorien zugeordnet sind und bei einem Sieg oder dem Erreichen anderer Kriterien neue Events freischalten, die sich in ihrer Schwierigkeit langsam steigern. Abgesehen davon gibt es in der Stadt verteilte Sehenswürdigkeiten und versteckte Tuning-Teile einzusammeln, dazu noch eine Reihe von Donut-Spots, die mit einem Kringel aus verbranntem Gummi verziert werden sollen. Hin und wieder steht auch ein Besuch in Kneipen oder anderen "hippen" Locations an, in denen die Protagonisten die "Story" vorantreiben und anschließend neue Rennevents anbieten, die kreuz und quer durch das nächtliche Ventura Bay und das hügelige Umland führen.

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Auch die Online-Komponente stellt eine Mischung aus bekanntem und eigenen Ideen dar.

Auf dem Weg durch dieses verzweigte Straßennetz gerät nach der atemberaubenden Grafik auch schnell das Fahrgefühl der Vehikel in den Fokus - und das kann mit der Optik leider nicht mithalten. Es sollte bei einem neuen Need for Speed nicht unbedingt überraschen, dass es ein Arcaderennspiel ist. Aber leider ist das Fahrverhalten darüber hinaus etwas schwammig und nicht immer vorhersehbar. Das lässt sich zum Glück, abgesehen von etwas Eingewöhnungszeit, in gewissem Maße mit den Tuning-Einstellungen kompensieren. Die beiden Extreme heißen hier "Grip" und "Drift" - und mit etwas mehr Hang zur Driftlastigkeit fühlt sich die Steuerung schon etwas realistischer an.

Um die schwereren Events zu meistern, ist es aber unabdingbar, das Auto vorher speziell darauf abzustimmen - ein "Style"-Event, in dem man viel driften muss, lässt sich mit einem "Grip"-Tuning kaum meistern. Und die Spielarten des Driftens sind mannigfaltig, neben dem reinen Erreichen hoher Punktzahlen wie man es aus Driveclub kennt, gibt es auch die japanischen Touge-Bergrennen. Hier verspricht nur eine Kombi aus guter Platzierung und gekonnten Drifts Erfolg. In den Drift-Trains wird es dann noch anspruchsvoller, denn hier muss man am Vordermann dran bleiben und möglichst synchron driften. Das erfordert schon einiges an Übung, und die umfangreichen Möglichkeiten, um die Autos zu tunen und upzugraden, suggerieren eine hohe Spieltiefe.

Leider findet diese nur bedingt ihren Weg auf die Straße, denn neben dem stark vereinfachten Physikmodell stören zwei Dinge extrem. Erstens der (vor allem in den leichten Rennen) völlig übertriebene Gummibandeffekt. Zweitens die Tatsache, dass es keine Möglichkeit zur manuellen Schaltung gibt! Das ist zwar für ein Need for Speed nicht ungewöhnlich, da die Charaktere im Spiel aber ständig von Style und Fahrzeugbeherrschung reden, wirkt es schon fast wie Hohn, dass dieses für Autorennen essentielle Bedienelement schlichtweg nicht existiert. Natürlich soll niemand gezwungen werden, per Hand zu schalten. Aber dass es die Option nicht mal gibt, ist völlig unverständlich, zumal die Hauptbuttons teilweise mit belanglosen Features wie dem Ausschalten des Motors und der Kamerawahl belegt sind. Das hätte man auch über das Steuerkreuz lösen können. Im Internet gibt es bereits eine Petition für einen Patch, der die manuelle Schaltung einspielen soll.

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Um den cineastischen Aspekt weiter zu unterstreichen, haben die Macher es mal wieder gewagt, real gefilmte Videosequenzen in ihr Werk einzubauen.

Immerhin lässt sich durch den Einbau einer Nitro-Einspritzung die Kontrolle über den Wagen verbessern und Spaß machen die Rasereien auch mit der Automatikschaltung. Der Fokus liegt eben doch eher auf dem Abfeiern der Tuning-Szene. Da macht das Spiel schon einen sehr guten Job mit seiner großen Anzahl von Fahrzeugen - angefangen beim Golf 1 bis hin zu dicksten Lamborghinis sowie einer unglaublichen Masse an Gestaltungsoptionen der Vehikel. Der Lack-Editor geht schon in Richtung Forza Motorsport 5 und die Auswahl an Bodykits und anderen Verzierungen stellt dies sogar in den Schatten. Zudem werden die Autos zwischen den Events immer wieder schick in Szene gesetzt und selbst Crashes werden fast so drastisch wie bei Burnout dargestellt - ein Punkt, der zum Beispiel in Forza Horizon 2 völlig fehlt und wiederum dort am Realismus kratzt. Ein Glück, dass nach einem Pitstop in der Garage alles wieder heile ist, auch wenn die optischen Schäden keinen Einfluss auf das Fahrverhalten haben.

Auch die Online-Komponente stellt eine Mischung aus bekannten und eigenen Ideen dar. Grundsätzlich fahren mehrere Spieler auf der gleichen Map und können sich jederzeit gegenseitig zu kleinen Events herausfordern, wobei zwischen Sprintrennen, Drift-Events und so weiter gewählt werden kann. Ein weiteres und typisches Feature der Need for Speed-Reihe ist die Polizei, die mit zunehmender Härte gegen die Raser vorgeht und immer höher werdende Bußgelder verhängt. Ein ebenso wiederkehrender, alter Bekannter aus der Serie sind die Ruckler, die das Spielgeschehen immer mal wieder plagen, vor allem bei schnellen Drifts durch enge Kurven. Außerdem gibt es manchmal ins Bild ploppende Elemente. Und wenn man sich mit dem rechten Stick umschaut, kommen die Spiegelungen in den Pfützen schnell durcheinander. Dafür entschädigen immer mal wieder atemberaubende Aussichten, die manchmal sogar durch zwischen den Baumwipfeln durchblitzende Sonnenstrahlen gekrönt werden.

Unterm Strich liefert Ghost Games hier ein sehr ordentliches, aber auch ein stückweit absolut typisches Need for Speed ab. Spieler, denen der Sinn danach steht und die auch keine Probleme mit dem etwas aufdringlichem Drumherum haben, werden bestens unterhalten. Ambitioniertere Rennspielfans, die nach Driveclub oder Forza Horizon 2 auf der Suche nach ähnlich gelagertem Futter sind, werden hingegen das viele ungenutzte Potenzial sehen, das unter der Haube schlummert. Es wird also interessant sein, was EA möglicherweise noch an Features nachliefert. Die PC-Version erscheint erst im nächsten Frühjahr, vielleicht wird da ja doch noch etwas gebastelt, um der anders gelagerten Zielgruppe Rechnung zu tragen. Und vielleicht findet dieses Etwas dann auch seinen Weg wieder auf die Konsolen, denn das Spiel hätte es auf jeden Fall verdient. Ganz ehrlich, schon allein mit manueller Schaltung würde es für mich um eine Note besser dastehen.

07 Gamereactor Deutschland
7 / 10
+
Bombastische Grafik, große Auswahl an Autos, Tuningteilen und Designs, variantenreiche Rennevents
-
Fahrphysik unausgereift, keine manuelle Schaltung, vereinzelte Ruckler und Soundaussetzer
overall score
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