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Nier: Automata

Nier: Automata

Platinum Games erzählt uns eine rührende Geschichte über intelligente Maschinen, die Kameraden für weniger austauschbar halten, als deren Ersatzteile. Geht ihr Plan auf?

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Mich hat Nier: Automata zum ersten Mal nachdenklich gestimmt, als ich in einem Wald gegen mittelalterliche Maschinen kämpfte. Die hiesigen Roboter beschützen ihr Reich und deren Bewohner vor Eindringlingen, einem mörderischen Androiden können sie jedoch nicht sonderlich viel entgegensetzen. Während ich mich also durch Patrouillen schnetzelte, entdecke ich eine große Ansammlung von Feinden. Mein Durst nach Maschinenöl führt mich geradewegs auf einen Versammlungsplatz, wo die Opferlämmer in Reih und Glied stehen. Direkt beginne ich meinen tödlichen Tanz. Vor lauter Begeisterung muss ich überhört haben, wie die hilflosen Roboter vor Angst kreischend um ihr Überleben bettelten und als ich die verbleibenden Überlebenden ausmerze, wurde mir langsam klar, was dort gerade geschehen ist. Fühlen sie etwa doch etwas?

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Wer die ganze Geschichte erleben will, der muss das Spiel mindestens dreimal durchspielen.

Platinum Games erzählt eine Geschichte über intelligente Maschinenwesen. „Gefühle sind verboten", maßregelt die strenge Stimme von 2B den philosophischen Quatsch, den unser Begleiter 9S immer wieder von sich gibt. Dabei ist es doch fragwürdig, ob ein Android überhaupt der richtige Ansprechpartner ist, wenn es um das Thema Gefühle geht. Schließlich basieren deren Entscheidungen auf analytischen Diagnosen und komplexen Verhaltensalgorithmen, mit menschlichem Bewusstsein hat das nur im Ansatz etwas zu tun. Und doch versucht Platinum Games uns mit Nier: Automata eine Geschichte von Robotern zu erzählen, die Kameraden für weniger austauschbar halten, als deren Ersatzteile. Ob das gelingen kann?

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Die Maschinen leben seit Jahrtausenden im Krieg. Sie kämpfen gegen andere Maschinen, oder zumindest deren Überreste. Wir stehen auf der Seite der Androiden, die weit oben im All eine Organisationsbasis betreiben, unten auf der zerstörten Erde leben die rostenden Roboter. Diese kriegerische Auseinandersetzung findet eigentlich zwischen den Menschen und fremdartigen Aliens statt, doch im Laufe der Zeit haben die Akteure gewechselt. Dieser Konflikt hat ein Stadium der Bedeutungslosigkeit erreicht und dreht sich im Kreis, genauso wie die Subroutinen der Roboter. Aus dieser Spirale scheint es kein Entkommen zu geben, doch um das zu bemerken, bräuchte es intelligentes Denken - keine automatisierten Prozesse.

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"Nichts von dem, was Maschinen machen, ergibt einen Sinn."

Für mich war das erste Nier ein Spiel mit einer unglaublich negativen Grundstimmung. Was das Original erzählerisch mit seinen Charakteren und der Welt macht, ist erschreckend, unfassbar traurig und es ging mir nahe. Nier: Automata wählt ein frisches Szenario, springt jedoch auf denselben Zug auf. So wird das Spiel trotz seines menschenfernen und leeren Settings nach einer Weile zu einer schmerzhaften und sehr menschlichen Erfahrung, an der wir selbst nach dem endgültigen Abschluss noch eine Weile zu knabbern haben werden.

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Nier: Automata ist noch stärker als der erste Teil darauf ausgelegt, mehrmals durchgespielt zu werden. Während des ersten Spieldurchlaufs erleben wir die Geschichte in ihrer Ursprungsform, Playthrough Nummer zwei gibt uns einen anderen Charakter an die Seite, lässt uns jedoch die gleiche Erzählung aus eben dieser Sicht erleben. Ab dem dritten Start bricht die Erzählstruktur plötzlich auf und Nier: Automata führt die eigentliche Geschichte fort. Die bis zu diesem Zeitpunkt vorherrschende lineare Erzählweise wird aufgehoben, damit Platinum Games einige ziemlich fiese Zwists zeigen und sich somit einen Platz in unserer Erinnerung sichern darf.

Die komplette Geschichte von Nier: Automata ist erst nach dem dritten Spieldurchlauf beendet. Wer Automata nur einmal durchspielt, wird schätzungsweise ca. acht bis zwölf Stunden lang beschäftigt sein, je nachdem, wie viele Nebenquests mitgenommen wurden. Um ein Gefühl von der Welt und den Mechaniken des Action-Adventures zu bekommen, reicht das natürlich aus, denn Nier: Automata fügt nur sehr behutsam Neuerungen in den Spielfluss ein. Doch wer die Entwicklungen der Charaktere und des Plots erfahren möchte, der muss mehrmals zum Controller greifen.

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Im Kampf der Maschinen gegen die Androiden gibt es keinen Gewinner.

Das Kampfsystem von Nier: Automata ist das typische Ergebnis des Platinum-Teams und dass dieser Entwickler einiges drauf hat, das wissen Fans von Bayonetta, Vanquish und Metal Gear Rising: Revengeance schon längst. Also springen, schweben und boxen wir uns mit hohem Tempo durch die Welt, wirbeln mit unnachgiebigen Schwertklingen, Speeren und Faustwaffen durch verzweifeltes Edelmetall und bekommen selbst im Kampf gegen weniger hilflos anmutende Feinde stets dieses einzigartige Gefühl der Überlegenheit. Dieser Titel spielt sich derartig gut, dass er selbst als reiner 2D-Brawler eine gute Figur abgibt. Aber Nier: Automata ist in seiner Gesamtheit so viel mehr als das.

Es ist beispielsweise ein klassisches Shoot'm'Up mit bockschwerem Bullethell-Gameplay. Oder ein Plattformer im Sidescrolling-Look, den diversen Perspektivänderungen sei Dank. Platinum Games fischt scheinbar wahllos im Genrepool und gibt all den verrückten Ideen eine Chance, denn mit Nier: Automata lässt sich das halt machen. Ab dem zweiten Spieldurchlauf haben wir die Möglichkeit, fremde Maschinen zu hacken. Während wir deren Verteidigungssystem durchbrechen, wird Automata kurzerhand zu einem Twin-Stick-Shooter mit minimalistischer Grafik. Allein in dieses Minispiel muss unglaublich viel Arbeit geflossen sein, das wird einem sehr schnell klar.

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Platinum Games springt gerne zwischen verschiedenen Genres und Spielperspektiven hin- und her.

Wie eingangs erwähnt, gehören wir zu den Androiden. Unsere Spielfigur ist ein weibliches Modell mit der Kennung 2B. Mithilfe sogenannter Plugin-Chips ist es möglich, sie aufzurüsten. Das Upgrade-System reicht von einfachen Angriffs- und Defensiv-Boosts bis hin zum Einbau automatischer Subroutinen (das ist jedoch nur auf leichteren Schwierigkeitsgraden möglich), die etwa selbstständig ausweichen oder Gegner mit Feindbeschuss eindecken. Wie konsequent diese Idee umgesetzt wird, zeigt sich im freien Aufbau der HUD-Elemente. Die sind nämlich ebenfalls Teil unseres Systemspeichers und lassen sich dementsprechend ausschalten oder konfigurieren. Wem Schadenszahlen, Levelanzeigen und Lebensbalken auf die Nerven gehen, darf stattdessen starke Bonuseffekte einbauen und gänzlich blind gegen Gegner kämpfen.

Das Maschinen-Konzept reicht soweit, dass wir im Falle eines Todes an einem Terminal neu zusammengesetzt werden und alle ausgerüsteten Plugin-Chips bei unserer Leiche abholen müssen. Dieses sogenannte Reliquiar-System erlaubt es uns zudem, Ressourcen aus unserem ehemaligen Körper zu bergen oder diesen als kurzzeitigen Verbündeten wiederzuerwecken. Um ein bisschen Dark Souls-Feeling in das Spiel zu bringen, verlieren wir das gesamte Chip-Set, falls wir es beim ersten Versuch nicht schaffen sollten, unsere Leiche zu reaktivieren. Da Nier: Automata aber ohnehin auf eine automatische Speicherung verzichtet, ist das nur selten ein wirkliches Problem. Frust staut sich hier wirklich kaum an, Platinum Games bliebt sportlich.

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Nier: Automata ist kein perfektes Spiel, doch Fans des ersten Spiels werden zufrieden sein.

Nier: Automata präsentiert sich größtenteils schlicht und fast altmodisch, natürlich gibt es davon auch Ausnahmen. Die Welt wirkt trostlos und verbraucht, das merken wir ab der ersten Minute an der frischen Luft. Es macht nicht einmal sonderlich viel Spaß, die verschiedenen Regionen zu erkunden und das ist in Anbetracht der schlimmen Geschichte sehr nachvollziehbar und genau deshalb so authentisch. Die Gebiete werden überwiegend generisch gehalten, viel Charme gewinnt das Spiel durch den cleveren Einsatz des Perspektivwechsels und der nahtlosen Integration neuer Genres. Besonders gefallen hat mir das Startgebiet, das im Spielverlauf eine gravierende Wandlung durchmacht und seine Form stark verändert.

Der musikalische Gesichtspunkt von Nier: Automata ist grandios gelungen. Der Soundtrack wird phänomenal inszeniert, denn Platinum Games hat einige sehr coole Ideen. Sie nutzen beispielsweise sich stoisch wiederholende Maschinengeräusche aus den Gesprächen der Roboter, um ein abgefahrenes Lied einzuleiten. Mit zunehmender Spielzeit variiert dieser Sound deutlich, abhängig davon, welchen Fortschritt wir in den Nebenmissionen erzielen. Meist wird dazu nur ein einziges Element der Songs variiert, aber es genau dieser behutsame, pointierte Einsatz, der die musikalische Erfahrung von Nier: Automata so besonders macht. Fans des Originalspiels werden sich zudem über bekannte Stücke freuen, die für Automata neu interpretiert wurden. Das Spiel ist ein Fest für die Ohren.

Nier: Automata ist ein einzigartiges Spiel, nicht zuletzt dank der Regelmäßigkeit, mit der Platinum Games Genre und Perspektiven tauscht, ohne je das Niveau zu senken. Doch für mich persönlich erzeugt Platinum Games hier etwas, das viel größer ist, als die Summe seiner gut umgesetzter Ideen. Ich bin nicht wirklich das, was man gemeinhin als positiven Typen bezeichnen würde und wahrscheinlich fühle ich mich deshalb so gut zurecht, in der Gedankenwelt von Chefentwickler Yoko Taro. Die Grundthematik von Nier muss einem schon entfernt zusagen, ansonsten wird das Spielerlebnis irgendwann zu negativ. Denn obwohl es sich so erschreckend gut anfühlt, diese dämlichen Roboter zu Elektroschrott zu verarbeiten, erreicht Nier: Automata meiner Meinung nach nur durch seine emotionale Geschichte und die schmerzerfüllte Atmosphäre seine besondere Stellung unter den Rollenspielen.

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Die Welt wirkt trostlos und verbraucht, das merken wir ab der ersten Minute an der frischen Luft.
09 Gamereactor Deutschland
9 / 10
+
geschmeidiges Gameplay, beeindruckender Soundtrack, emotionale Erfahrung mit einer außerordentlich negativen Grundstimmung, philosophische Inhalte für nachdenkliche Spieler
-
mäßige Präsentation, viel Leere, Konzept des mehrmaligen Durchspielens muss verstanden werden, 2Bs Outfit hat nichts mit „Fanservice" zu tun und ist jenseits guten Geschmacks
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