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Patrizier IV

Patrizier IV

Es soll ja tatsächlich Menschen geben, die nichts sehnlicher erwarten als Call of Duty: Black Ops. Oder Gran Turismo 5. Ganz Verrückte springen im Quadrat, wenn sie Halo: Reach hören. "Sollen Sie doch", denkt eine ganz besondere Gemeinde von Spielern. Die brauchen nichts Schnelles und Krachendes. Dabei verfallen sie doch in dieselbe Sucht - nur eben in aller Seelenruhe.

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Die Zeit, in der Wirtschaftssimulationen in Deutschland noch einen erheblichen Teil der Spieler aufgeschreckt haben, sind schon lange vorbei. Trotzdem gibt es eine passable Nische dafür, ganz so wie es auch die Adventure-Spiele geschafft haben. Einer der großen Titel jener Zeit war Der Patrizier. Das war damals 1992. Der Nachfolger Patrizier II erschien im Jahr 2000 und auch er kassierte gute Kritiken. Nach der Insolvenz von Ascaron sah es zunächst düster aus für eine Fortsetzung.

Doch Publisher Kalypso nahm sich dem Spiel an und ließ ein junges Studio an das Spiel. Aber zwei erfahrene, ehemalige Ascaron-Köpfe stehen an der Spitze: Daniel Dumont (Patrizier II, Port Royale) und Kay Struve (Patrizier II, Sacred). Und weil Patrizier II im Paket mit einem umfangreichen Addon gleich als Patrizier III vermarktet wurde, entschloss man sich eben auch in Deutschland gleich eine Versionsnummer zu überspringen. Wundern tut das hier sicherlich niemand. Liegen zwischen Patrizier II und Patrizier IV doch satte zehn Jahre.

Patrizier IV
Die Städte sehen im Grunde alle gleich aus, trotzdem sind sie ganz hübsch.

Geblieben ist vor allem das Spielprinzip. Wir sind ein junger, aufstrebender Händler, der von seinem Onkel eine Starthilfe in die große Welt der Hanse bekommen hat. Mit einer kleinen Flotte lernen wir die Grundlagen des Handelns. Waren in einer Stadt günstig einkaufen und in einer anderen teurer verkaufen - und dabei nur immer Angebot und Nachfrage im Auge behalten. Denn wird der Bedarf mehr als gedeckt, sinken natürlich die Preise. Und auch wenn das wahrscheinlich die Bürger freut, für unser Geschäft ist das tödlich.

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Mit dem steigenden Einfluss in unserer Stadt erlangen wir die Erlaubnis, uns in der Gilde um den Bau eigener Produktionsstätten zu bewerben. Damit wird aber nicht nur die Gewinnspanne vergrößert und der Reichtum vermehrt. Investieren wir in der Stadt in Wohnhäuser und schaffen Arbeitsplätze, erhöht sich unsere Beliebtheit weiter. Wer es zudem clever anstellt und auf Waren setzt, die nur in wenigen Städten produziert werden können, hat ein Gut in der Hand, mit dem man die eigene Beliebtheit in eben jenen trostlosen Orten steigert, die bisher ohne diese Ware auskommen mussten.

Wer sich in einer fremden Stadt gut macht, kann in die ansässige Gilde einsteigen und somit auch dort irgendwann Produktionsstätten errichten. Es entsteht mit der Zeit ein Geflecht aus verschiedenen Stützpunkten, die alle Ebenen einer Produktion abdecken. Anfangs beispielsweise musste man sich noch mühselig Holz einkaufen, um etwa Salz herzustellen. Später besitzt man einfach eine eigene Produktionslinie. Und damit man die gewachsene Flotte nicht selbst navigieren muss, können automatisierte Handelsrouten festgelegt werden.

Das Erstellen von Routen ist zunächst etwas knifflig, weil das Menü hierfür wenig benutzerfreundlich ist. Daran krankt sogar das ganze Spiel etwas. Trotz wirklich hübscher und informativer Videos fühlt man sich manchmal ein wenig verloren. Aber mit der Zeit werden auch diese Kniffe gelernt und spätestens wenn es eben um komplexe Produktionsketten geht, fuchst man sich sowieso durch.

Patrizier IV
Am Hafen kann zwischen der Stadt, dem eigenen Kontor und einem ausgewählten Schiff gehandelt werden.
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Holz und Ziegel sind übrigens in vielen Städten gern gesehene Güter, weil sie die Baumasse sind, mit der sich eine Stadt weiterentwickeln kann. Neben Wohnhäusern und Betrieben können auch Kirchen, Krankenhäuser und neue Stadtmauern gebaut werden. Zugang auf diese Bautätigkeit gibt es aber erst, wenn wir Bürgermeister der Stadt sind. Und dafür müssen wir der beliebteste Mann der Stadt sein und einen gewissen Rang in der Hanse erreicht haben.

Das Bauen läuft unkompliziert, da Straßen automatisch gezogen werden. Das Scrollen der Karte funktioniert im Grunde bei allen Handlungen unkompliziert, wenn man an den Rand des Bildschirms kommt. Nervig nur, wenn ein Menü im Weg ist. So gibt es etwa beim Bauen im unteren Teil über die ganze Breite eine Information, wie Gebäude gebaut oder das ganze abgeblasen werden kann. Scrollen ist damit damit unmöglich und es muss auf die Tastatur zurückgegriffen werden. Ein Designfehler, der nicht sein muss.

Das Spiel plätschert also mit der Zeit dahin, beginnt leicht und wird immer komplexer. Schwer ist es nicht unbedingt, es sei denn, man erhöht im freien Spiel den Schwierigkeitsgrad. Aber grundsätzlich ist es auch nicht das, was Patrizier IV so fesselnd macht. Dieses hübsche kleine, aufeinander aufbauende Micromanagement ist es, dass all jene gierig aufsaugen werden, die Freunde von Wirtschaftssimulationen sind.

Dass Patrizier IV dabei auch technisch eine gute Figur macht, ist umso besser. Herausragend ist die Grafik bei weitem nicht, aber die Stadtansicht gibt es in ansehnlicher 3D-Optik, es lässt sich sogar ein wenig ins Geschehen zoomen - wenn auch nicht vergleichbar mit dem großartigen Die Siedler 7. Die Landkarte ist dafür umso spartanischer, aber die sollte ja auch vor allem übersichtlich sein.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Sound. Das Orchester knüpft einen unauffälligen Klangteppich, auffälliger sind kleine Soundeffekte wie das Klimmpern von Geld. Das sorgt für eine passable Atmosphäre und auch die Sprachausgabe mit ihren verschiedenen Sprechern ist gelungen. Das Paket geht gerade für dieses Genre schwer in Ordnung.

Patrizier IV
Die Übersichtskarte - hier die Ansicht nach dem demnächst erscheinenden Patch - ist schlichter.

Am Ende mehrere Städte zu kontrollieren, vielleicht sogar eigene zu gründen, den Einfluss in der Hanse zu steigern, um ihr irgendwann vorstehen zu können - das ist eine Kette der Lust, die eben nicht jeder nachvollziehen kann. Wahrscheinlich würden sich auch die beinharten Simulationsfans unterfordert fühlen, doch unterhalten werden sie allemal. Und - alle Freunde von großem Kino und knallharte Action dürfen den nächsten Absatz überspringen - es geht ja auch noch weiter.

Städte können zum Beispiel vom Herzog belagert werden, wenn er ihnen nicht wohlgesonnen ist. Entweder man lebt damit, dass Betriebe außerhalb der Stadttore dann keine Waren liefern oder man steckt dem Herzog ab und an Geld zu. Beides keine Lösung? Dann Bürgermeister werden und die Stadt mit Wehrtürmen ausstatten! Das irgendwann auch noch böse Piraten dazu kommen, die in Schach zu halten gilt und dass der angesprochene, steigende Schwierigkeitsgrad aggressivere Mitspieler und Ereignisse wie zugefroren Häfen im Winter mit sich bringt - das alles klingt nach vielen Stunden Spaß.

Die Zeit, die mit Patrizier IV "vertrödelt" wird, ist erstaunlich lang wenn man sich darauf einlässt. Die Kampagne ist zwar viel zu leicht und nicht sehr umfangreich, aber immerhin wird man nicht gezwungen, sich über mehrere Stunden durch irgendeinen Story-Modus zu quälen, nur um das Spiel zu verstehen. Ein Mehrspielermodus wird dagegen noch schmerzlich vermisst, auch wenn die fertigen Pläne dazu in der Schublade liegen. Aber schon mit dem ersten Patch will man Funktionen ergänzen und hat auch den einen oder anderen Fehler ausgemerzt - nur der stand leider zum Testzeitpunkt noch nicht zur Verfügung.

08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
Wirtschaftssimulation(!), gelungene Präsentation
-
Kampagne ist zu leicht, kein Mehrspielermodus, Menüs und Steuerung nicht immer benutzerfreundlich
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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