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Saboteur

Saboteur

Grand Theft Auto mit Nazis in Frankreich, dazu etwas Assassin's Creed und Mercaneries. Verfeinert wird dieser Eintopf mit etwas Metal Gear Solid. Heraus kommt Pandemics Weihnachtsgeschenk namens Saboteur. Das will alles und kann sogar so einiges.

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Ganz ruhig heftet Sean Devlin ein Paket Dynamitstangen an den Fuß des Stahlgerüsts. Oben drauf, im Ausguck, sucht ein deutscher Soldat mit seinem Karabiner die Gegend nach „dem Iren" ab. Jenem renitenten Widerständler, der seit einigen Tagen die französische Résistance anführt, gemeinsam mit dem Schriftsteller aus gutem Hause namens Luc. Sean ist gerade in der Uniform eines deutschen Elite-Scharfschützen getarnt, hält sein Zippo ans Dynamit, dreht seelenruhig um und steigt unentdeckt in seinen Dynamo-Sportwagen. Boooooomm. Ein weiteres Freeplay-Ziel erfüllt. Eines von Hunderten, die Saboteur in Frankreich und Deutschland bietet. Resultat: Etwas mehr Geld in der Kasse für Schmuggelware und die Deutschen sind ein Stück weiter demoralisiert.

Saboteur ist ein Weihnachtsgeschenk von Pandemic. Besser gesagt: ein Abschiedsgeschenk, denn das Studio wurde unlängst vom großen Bruder EA geschlossen. Kurz nachdem sie ihr Open-World-Action-Spektakel abgeliefert hatten. Unverständlich, wenn man sich die Qualität des Spiels anschaut. Saboteur ist, um es gleich zu sagen, ein schönes Spiel für Erwachsene. Es glänzt besonders dadurch, dass es tolle Eigenschaften tolle Games remixt. Oder anders gesagt: Für Saboteur haben sie bei Pandemic ordentlich geklaut. Allerdings nicht immer so richtig gekonnt.

Perfekt geklappt hat es bei der tragenden Idee des Spiels, nämlich eine monochrome Welt durchs Spielen wieder in fröhlichen Farben erstrahlen zu lassen. Das wurde nämlich zum Beispiel im Studentenprojekt de Blob bereits vor einiger Zeit toll zelebriert. Trotzdem ist es diese monochrome Ästhetik, die Saboteur positiv hervorhebt. Das ist einfach unglaublich schön inszeniert. Die wenigen, gelb schimmernden Fenster und die vielen, schwarz-roten Nazifahnen (in der deutschen Version sind die Hakenkreuze natürlich nicht zu sehen) vermitteln intensiv und nachfühlbar das erdrückende Gefühl einer militärisch besetzten Stadt.

Die ist allerdings trotz der Farbarmut sehr lebendig. An vielen Ecken patrouillieren Wachposten, beschützen strategisch wichtige Gebäude oder zeigen einfach nur Präsenz. Eigentlich schade, dass es wesentliches Ziel des Spiels ist, die Résistance zu stärken, um einen persönlichen Rachefeldzug forcieren zu können. Denn die Stärkung des Widerstandes führt zum Sinneswandel der Bewohner eines Viertels, welches dann aus der Dunkelheit erwacht, sich wiederbelebt und in schönen Farben erstrahlt. Leider wirken diese wiederbelebten Viertel eine Spur zu bunt und fröhlich, so dass alles eher die Anmutung eines Krieges in Battlefield Heroes hat, also tendenziell lustig-ironisch und nicht bitter-bedrückend.

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Sean, der nach einer unschönen Begegnung mit dem deutschen Rennfahrerkollegen Kurt Dierker allen Grund hat, die Besatzer zu hassen, lässt sich im Nachtclub von einem Mann namens Luc überzeugen, der Résistance beizutreten. Oder besser: überhaupt eine zu initiieren. Sean treibt fortan vor allem sein Rachefeldzug durchs Spiel, der aber auf schlaue Art und Weise mit der überzeugenden Geschichte verwoben wird. Authentisches 1940er-Setting im von den Nazis besetzten Paris, unterbrochen von einigen Landpartien, Ausflügen an die Küste und rüber nach Deutschland. Wir spielen den irischen Mechaniker und Rennfahrer Sean, der sich durch einen vermeintlich komischen Zufall plötzlich in die Rolle eines britischen Agenten gepresst sieht. Zwischen den Fronten fehlt auch ein mysteriöses Artefakt nicht, Indiana Jones und Wolfenstein lassen grüßen.

Dazu gibt's gleich im Prolog der Geschichte, ganz am Anfang, ein schönes Skandälchen. Echte falsche Brüste werden da auf der Bühne des Pariser Nachtclubs präsentiert, aktiviert per beiliegendem Nacktcheat. Download-Sex sozusagen. Der Nachtclub selbst erfüllt sogar eine sinnige Funktion, denn Sean hat hier sein Versteck hinter der Garderobe der Girls bezogen. Wie passend, dass es ein Achievement für 50 Küsse gibt, bei all der Verlockung. Die nackten Brüste wirken wie ein inszeniertes Oha-Erlebnis, vermutlich um ein bisschen entrüstete Underground-PR inszenieren zu können. Wobei das Saboteur eigentlich nicht nötig hat.

Das Spiel ist auch ohne Brüste quicklebendig, präsentiert eine riesige, von Beginn an fast vollständig offene Spielwelt. Wir können zwar der Hauptgeschichte folgen, aber in regelmäßigen Abständen lenkt das Spiel die Aufmerksamkeit weg von ihr. Das passiert quasi automatisch, da die längeren Wege, etwa zwischen Paris und Le Havre, mit dem Auto absolviert werden müssen. Es gibt eine Reihe toller Wagen, vom Renner bis zum Laster ist alles dabei. Ist ein Wagen einmal in der Garage geparkt, steht er fortan kostenlos zur Verfügung. Und der schnellste davon ist, als Fluchtauto markiert, in Notsituationen fast auf Knopfdruck abrufbar. Im Radio trällert allerfeinster Swing und Jazz, beste Fahrstuhlmusik der 40er Jahre.

Das Autofahren dauert nicht nur lange, weil die Strecken wirklich teilweise enorm sind, sondern auch deshalb, weil am Wegesrand und dahinter viele, viele Freeplayziele locken: Tontaubenschießen mit echten Hühnern, Wachposten ausräuchern, Tankdepots sprengen, Radarantennen abklemmen, Propagandalautsprecher stilllegen und Generäle ausschalten. Dafür gibt's Schmuggelgut und die Moral der Franzosen steigt. Auch Flak-Stellungen bedrohen britische Bomber. Die kann man ausschalten oder, viel lustiger noch, selber benutzen. Diese Freiheiten sind es, mit denen die offene Welt von Saboteur glänzt. Freiheiten in der Entscheidung. Nur ein Beispiel von vielen dafür ist folgende Szene.

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Eigentlich war ich mit Sean auf dem Weg zu einer regulären Mission, als ich mich mal wieder nicht konzentrieren konnte. Noch fix im Vorbeifahren einen dieser weißen Freeplayzielpunkte erledigen. Also schnell aufs Dach geklettert, wo allerdings nicht der erwartete Wachturm steht, sondern eine ausgewachsene Flak. Leider misslingt es, deren Bewacher leise auszuschalten, weil mich dummerweise ein Wachmann vom Turm gegenüber beobachtet hatte. Die Verdachtsanzeige färbt sich in Sekunden von weiß über gelb nach tiefrot, der aufmerksame Deutsche hat Alarm gepfiffen. Sofort ist das ganze Viertel in Aufruhr. Ich steige in die Flak, schieße den Wachturm um und ballere danach einige der ankommenden Sicherheitsleute weg, als ich hinten am Horizont einen riesigen Zeppelin erspähe. Warum eigentlich nicht? Ein paar gezielte Schüsse aus der Flak, und drei Sekunden später stürzt ein hell leuchtender Nazi-Feuerball ins Stadtzentrum.

Leider ist das mit dem Klettern hoch auf die Dächer von Paris vergleichsweise schlecht gelöst, was besonders dann auffällt, wenn das wunderbare Spielgefühl von Assassin's Creed 2 noch in den Fingern steckt. Sean klettert als Saboteur leider nur widerwillig von Vorsprung zu Vorsprung weiter, da jede Aktion per Knopfdruck bestätigt werden muss. Das ist ermüdend und hemmt den Spielfluss. Besser geht es an Abwasserrohren und Leitern rauf und runter. An einigen hohen Stellen finden sich auf den Dächern spezielle Landmarken. Die erinnern an das Synchronisieren der Gegend in Assassin's Creed 2 - nur leider ohne wirklichen Effekt.

Das Saboteur-Gameplay selbst ist im Prinzip eine Kopie von Grand Theft Auto, gemixt mit ein bisschen Mercaneries, Assassin's Creed und Metal Gear Solid. Entweder wird stringent die Hauptgeschichte gespielt (nicht empfehlenswert) oder es ist sich treiben lassen angesagt. Dann werden - nebenbei oder hauptsächlich - die mehreren hundert Freeplayziele erfüllt. Die sind wirklich an jeder Ecke, in jedem Dorf, auf jedem Dach zu finden. Überall darf nach Herzenslust die Präsenz der Besatzer sabotiert werden, und das macht tatsächlich einen Heidenspaß. Bei vielen, kleineren Zielen reicht es, die zwei oder drei Bewacher auszuschalten und dann etwa den Tankwagen zu sprengen. Steht dort allerdings ein Panzer, wird's schnell haarig. Der feuert nämlich hemmungslos und aus nächster Nähe auf Sean. Und so eine Panzergranate direkt vor dem Kopf macht dem Saboteur schnell ein Ende.

Die meisten Aufgaben lassen sich sowieso am besten mit Tarnung und Geschick lösen, in den höheren der fünf Schwierigkeitsgrade geht es ohne schlaue Strategie kaum noch etwas. Hier erinnert Saboteur dann nicht mehr so sehr an GTA, sondern an die Schleichereien in Metal Gear Solid. Hinterrücks werden Soldaten mit Steinalt-Kiels eliminiert, dann ihre Uniform geklaut und übergestreift. Getarnt als deutscher Soldat können wir relativ arglos durch die Reihen der Deutschen streifen und sie infiltrieren. Fliegt die Tarnung allerdings auf, bricht sogleich die Hölle los. Alle Deutschen ballern auf einmal los, so dass Sean nicht selten keine Chance hat. Allerdings glänzt die Künstliche Intelligenz der Gegner nicht so richtig. Häufig stehen die Deutschen wie Zielscheiben in der Gegend oder rennen hemmungslos auf uns los. Deckung suchen? Schlau handeln? Fehlanzeige! In solchen Momenten wird geballert. Wir spielen das schöne Waffenarsenal aus: Scharfschützengewehre und Karabiner für die Distanz, Schrotflinten und Flammenwerfer für den Nahkampf, Raketenwerfer und Granaten fürs Grobe. Dazu noch Pistolen, wovon vor allen Dingen das schallgedämpfte Modell im Dauereinsatz ist, weil ein leiser Tod niemanden alarmiert.

Umso ungerechter erscheint die teils dumme Gegner-KI, weil Sean, während er sich durchs Spiel sabotiert, sukzessive seine Fähigkeiten verbessert. Manche werden einfach durch das Erfüllen von Teilzielen freigeschaltet, nach dem Motto: Mache x-mal dies oder das. Andere sind nur bei den sporadisch verfügbaren Schwarzhändlern erhältlich. Diese Upgrades erhöhen die Waffenkapazität oder verbessern die Fähigkeiten der Helfer der Réstistance. Ab einem bestimmten Punkt stehen nämlich Schläger zur Verfügung, die per Schnellbefehl ins Kampfgeschehen beordert werden dürfen. Ein ganz kleines bisschen Echtzeitstrategie gibt's also ebenso.

Leider auch eine Menge (kleiner) Fehler, die in der Summe dann doch nerven. Die Cut-Scenes der Hauptgeschichte sind zweigeteilt. Es gibt „echte", als Filme konzipierte und interaktive. Die Qualität der interaktiven Szenen schwankt ähnlich stark wie die Kamera, die in diesen Sequenzen gesteuert werden darf. Die Lippensynchronität ist häufig drei Buchstaben neben der Spur, was den sonst toll übersetzten Dialogen etwas von ihrer Überzeugungskraft nimmt. Einige Grafikfehler wie fehlende Türen und dann dahinter leere Zelte oder eine völlig aus dem Nichts aktivierte Supersuperzeitlupe bei einer Flucht dämpfen das Erlebnis dann zusätzlich. Da merkt man dann doch denn Frust der Qualitätstester eines nicht mit 120-prozentiger Aufmerksamkeit gestrickten Produktes.

Am Ende dominiert aber der Spaß, den Saboteur macht. Ein großes Argument für die gefällige, sauber erzählte Open-World-Story, die für viele Stunden fesselt. Und zwar vor allem jene, die sich jenseits der Hauptgeschichte bewegen wollen.

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08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
Authentisches Setting, monochrome Grafik in besetzten Viertel, gelungenes Open-World-Konzept
-
Unaufmerksamkeiten bei der Fehlerbeseitigung, kein wirklicher Höhepunkt
overall score
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