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Cyberpunk 2077

Städte der Zukunft: Kunst und Design in Cyberpunk 2077

Die futuristische Metropole Night City aus dem kommenden Science-Fiction-RPG von CDPR erkunden wir dieses Mal aus einer anderen Perspektive heraus.

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Die Gamescom-Präsentation von Cyberpunk 2077 konntet ihr euch mittlerweile ja selbst anschauen, außerdem haben wir das Material bereits auf der E3 zu Gesicht bekommen und auch anständig zu Text gebracht. Trotzdem waren die Warteschlagen auf dem Kölner Messegelände lang, da Journalisten, Influencer und eine Reihe von Entwicklern, wie wir gern hinzufügen möchten, die Hoffnung hatten, einen längeren Blick auf das ambitionierte Sci-Fi-Rollenspiel von CD Projekt Red zu bekommen. Die exklusiven Jacken, die den Teilnehmern ausgehändigt wurden, haben auf der Messe wahrscheinlich auch für einige Aufmerksamkeit gesorgt, doch auch ohne dieses stylische Angebot gibt es ein enormes Interesse am kommenden Titel der Witcher-Entwickler.

Cyberpunk 2077 wollen wir diesmal aber nicht aus Gameplay-Sicht besprechen, dazu werden wir bis zum nächsten April sicherlich noch einige Male die Gelegenheit bekommen. Stattdessen werfen wir einen Blick auf die Kunst hinter dem Spiel. Zu diesem Zweck haben wir uns mit Marthe Jonkers, Senior Concept Artist bei CDPR, über das Design dieser expansiven, futuristischen Welt unterhalten und die Möglichkeit bekommen, mehr über die außergewöhnliche Liebe zum Detail zu erfahren, die in das Projekt gesteckt wird.

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Die Welt von Cyberpunk 2077 soll trotz ihrem futuristischen Umfeld plausibel wirken. Aus diesem Grund haben beim Layout Stadtplaner geholfen und Graffiti-Künstler sind und waren damit beschäftigt, jedem Viertel einen eigenen Stil zu verpassen. Das Studio hat diese großen Anstrengungen unternommen, um den Spielern einen urbanen, sich authentisch anfühlenden Sandkasten zu bieten. Hinter diesen Bemühungen steht eine Reihe unverwechselbarer eigener Stile, deren Auswüchse sich in alle Facetten des visuellen Game-Designs erstrecken.

"Die Styles sind wirklich das Rückgrat des visuellen Designs von Cyberpunk 2077", erklärte Jonkers uns am CDPR-Stand im Geschäftsbereich der Gamescom. "Vielleicht habt ihr die Plakate bereits gesehen - es gibt vier - und tatsächlich stellen sie alle einen anderen visuellen Stil dar, der mit der Zeitachse verbunden ist. Cyberpunk 2077 basiert natürlich auf Mike Pondsmiths [Pen&Paper-Vorlage] Cyberpunk 2020, doch seitdem sind 57 Jahre vergangen und es ist vieles passiert. [Mit diesem Zeitsprung] sind verschiedene visuelle Stile verbunden, die sich auf Mode, Architektur, Fahrzeuge und sogar auf den Waffen wiederfinden. Wir haben damit eine Art der visuellen Zeitachse geschaffen."

"Entropism kam in einer Zeit auf, in der es nicht so gut lief und die Menschen arm waren. Das spiegelt wider, wie [dieser Stil] aussieht - die Designs sind sehr praktisch, die Materialien sind sehr billig, es gibt nicht viel Dekoration", erklärte Jonkers.

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"Doch dann gab es Kitsch", fuhr der Konzeptkünstler fort. "Die Dinge liefen besser, großartig sogar. Die Leute waren glücklich und ihr seht das, weil der Kitsch so viel Farbe mit sich bringt, sehr lebendig ist und die Formen viel runder ausfallen."

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"Danach kam der Neomilitarismus. Das kommt, wenn die Konzerne an der Macht sind, sie haben wirklichen Einfluss auf die Mode dieser Zeit."

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"Und der neueste Stil, den wir Neokitsch nennen, weil er irgendwie mit Kitsch verbunden ist; er ist ebenfalls sehr farbenfroh, aber in diesem Moment wurde die Kluft zwischen Arm und Reich so groß und man hat diese Super-super-Ultra-Reichen und sie haben ihren eigenen Stil. Es ist sehr kitschig, sehr farbenfroh, aber [wir] haben zusätzliche, natürlichere Elemente [eingebracht], weil in der Zukunft von Night City viele Tiere ausgestorben sind - es geht mit der Natur nicht gerade gut weiter... [Jedenfalls:] falls ihr Tiermuster oder so etwas mögt, dann müsst ihr wirklich reich sein, wisst ihr? Und wenn in eurem Haus Holz verbaut ist, müsst ihr einer der Ultra-Reichen sein."

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Die Stadt selbst sieht aus wie ein geschäftiger, weitläufiger Spielbereich, aber aus der Demo ist nur schwer zu erkennen, wie umfangreich sie letztlich ist. Vor kurzem hat Produzent Richard Borzymowski Gamesradar verraten, dass die Map ein bisschen kleiner sein wird, als die Welt von The Witcher 3: Wild Hunt, allerdings auch deutlich dichter und vertikaler ausfällt.

"Betrachtet man die reine Fläche (in Quadratkilometern), dann ist Cyberpunk 2077 vielleicht sogar ein bisschen kleiner, als The Witcher 3, aber es so dicht, [als würde man den] Inhalt [aus der] Welt von The Witcher nehmen, es in sich zusammendrücken und die Wildnis dazwischen löschen... [Night City] ist ein wesentlicher Bestandteil der Kulisse, es ist im Wesentlichen ein Protagonist, wenn man es so nennen möchte, also muss es so dicht sein. Es würde uns nicht den gewünschten Effekt geben, wenn die Stadt nicht glaubwürdig wäre, [...] also füllen wir sie voller Leben."

Uns wurde gesagt, dass wir Night City ohne Ladebildschirme frei erkunden können, wenn wir uns zwischen den einzelnen Stadtteilen bewegen. Es ist ein Trick, den wir bereits in anderen Spielen gesehen haben, aber die eindeutige Unterscheidung von Stadtteilen ist eine nicht zu unterschätzende Design-Herausforderung. Viel zu viele digitale Städte der Vergangenheit fühlten sich aufgrund mangelnder Vielfalt langweilig und uninteressant an, wenn es um ihre gesamtheitliche Komposition geht. CDPR hofft darauf, dieser Stadt durch die Beschäftigung mit den vier oben aufgeführten dominanten Kunststilen das Gefühl zu verleihen, ein lebendiges, atmendes Wesen zu sein. Borzymowskis Protagonist, wenn ihr so wollt.

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"In Night City gibt es also eine Mischung aus all diesen Stilen", erklärte Jonkers. "Auf diese Weise wollten wir Night City ein solches Maß an Glaubwürdigkeit und visueller Überlieferung verleihen, damit ihr euch tatsächlich wie in einer echten Stadt fühlt."

Es geht jedoch nicht nur darum, ein paar Kanten abzurunden und eine Schicht Neonfarbe aufzutragen, der Aufwand reicht viel tiefer. Die Design-Teams von CDPR haben Night City von Grund auf erbaut, vielleicht mit bekannten Klischees im Hinterkopf, aber sie haben dieser Metropole überzeugende Details verpasst und sie auf verschiedene Arten zum Leben erweckt.

"Eine Stadt zu entwerfen ist nicht einfach und wir wollten wirklich, dass die sechs Stadtteile von Night City ein eigenes Gefühl bekommen. Deshalb haben wir das Design häufig mit der Geschichte in Verbindung gebracht. Aber wir haben auch darüber nachgedacht, wie man [überhaupt] durch so eine Stadt läuft. Wie in Köln werdet ihr zum Beispiel all diese verschiedenen Arten von Architektur sehen, unterschiedliche Automodelle, die Menschen werden individuelle Mode tragen. Das ist so ein wichtiger Bestandteil beim Gestalten einer Stadt und deshalb haben wir diese Stile geschaffen, die heute das Rückgrat des visuellen Designs von Night City bilden."

"Doch wir haben noch viel mehr dazu beigetragen. Zum Beispiel haben wir ein supertalentiertes Team, das sämtliche Graffitis im Spiel erstellt. Jede Straßengang in Night City wird ihren eigenen visuellen Stil haben, den wir über der Stadt platzieren werden. Ihr werdet all diese [zusätzlichen] Ebenen der Geschichte nur durch visuelle Elemente aufnehmen und das gibt euch [hoffentlich] das Gefühl, dass beim Herumlaufen [ein Eindruck entsteht, wie] 'Wow, das ist eine Stadt, die Geschichte hat. Diese Leute haben lange Zeit hier gelebt, das kann man tatsächlich sehen.'"

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In der Welt von Cyberpunk 2077 können Macht und Einfluss der Unternehmen nicht mehr übersehen werden, ihre Auswirkungen sind sowohl narrativ als auch visuell quasi fühlbar. Der Kapitalismus ist natürlich ein wichtiger Bestandteil dieser Zukunftsvision und es sieht so aus, als ob wir die Auswirkungen von Marken und Werbung jederzeit in Night City sehen werden. Ähnlich wie in unserer modernen Welt prägen die Konzerne von 2077 die Skylines des späten 21. Jahrhunderts. Die Pacifica-Region ist ein großartiges Beispiel dafür, da die Gegend eine visuelle Geschichte erzählt, die immer wieder von verschiedenen Charakteren in ihren Ausführungen und Kommentaren angedeutet und damit bestätigt wird. Diesen Teil der Stadt haben viele Unternehmen mittlerweile verlassen, weshalb Bauvorhaben zum Teil unvollendet sind und anschließend von den verschiedenen Vertretern der Unterwelt für ihre eigenen Zwecke ausgenutzt wurden.

"Wir haben viele verschiedene Arten von Marken in unserem Spiel. Viele von ihnen haben ihre eigene Ästhetik. Und wir haben viele Anzeigen. Ihr wisst schon, wenn ihr durch eine Stadt lauft, werdet ihr viele dieser Elemente sehen ohne darüber nachzudenken. Das wollten wir auch in unserem Spiel haben. Ihr werdet einige Bereiche sehen, in denen sehr viel weniger Werbung zu sehen ist, wie in Pacifica, das wir in dieser Demo gezeigt haben. Es ist sehr verlassen, eigentlich sollte es eine Ferienregion werden, aber dann haben die Konzerne ihr Geld genommen und es so belassen, wie es jetzt ist. [Man sieht also nur] die Grundpfeiler dieser Gebäude, die zur Hälfte gebaut sind."

"Aber wenn ihr zum Beispiel nach Watson geht, das Viertel, das wir in der ersten Demo gezeigt haben, da ist es genau umgekehrt. Es ist dort so voll und es gibt so viele enge Gassen und Gebäude, die übereinander gebaut sind, und [es gibt] überall Werbung. Es ist dieser große Kontrast und wir haben wirklich versucht, dass es sich ganz natürlich anfühlt, wenn man Night City erkundet."

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Jonkers sprach anschließend darüber, dass das Team Hilfe von einem Stadtplaner erhalten habe, um sicherzustellen, dass die Stadt logisch zusammengesetzt ist und es Bezugspunkte gibt: "Ihr habt zum Beispiel das Stadtzentrum, das wirklich von Unternehmen durchzogen ist und dort werden wir das höchste Gebäude haben. Dadurch weiß man immer, dass es das Zentrum ist, dort sind die Unternehmen. Da werdet ihr viel Neomilitarismus sehen, das ist ein Stil der Konzerne und so sind wirklich all diese verschiedenen Bezirke entstanden."

"Aber wir haben auch viel Mühe in die Gebiete zwischen diesen Bezirken gesteckt, wisst ihr, weil es ja immer noch eine [zusammenhängende] Stadt ist. Die Bezirke sind immer noch sehr, sehr unterschiedlich, aber wir wollten auch das Gefühl bekommen, dass alles zu Night City gehört, also haben wir zwischendurch viel Aufwand in diese Bereiche gesteckt und es ein wenig gemischt, damit alles in dieser großen, realistischer Stadt zusammenfließt."

Die Arbeit des Design-Teams erweckt nicht nur Gebäude zum Leben. Es greift bis in den Kern des Spiels hinein und soll sich auf unser gesamtes Spielerlebnis auswirken. Interessanterweise bestimmt die von uns gewählte Mode deshalb auch direkt über unseren Ruf auf der Straße. Wenn wir schick und stylisch unterwegs sind, soll das einige interessante Vorteile für die Spieler bringen.

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"Modestile sind ebenfalls wirklich mit diesen vier Stilen verbunden und wir haben dieses großartige Design-Team, das all diese verschiedenen Arten von Mode [...] kreiert hat. Tatsächlich ist ein Kriterium damit verbunden: Die Street-Credibility. Wenn ihr coole Klamotten tragt, steigt eure Glaubwürdigkeit auf der Straße und das bedeutet, dass ihr Zugang zu mehr und verschiedenen Läden, selteneren Gegenständen und so weiter erhalten werdet. Also spielt Mode auch im Gameplay eine wirklich große Rolle."

Der Beweis für diese tiefe und facettenreiche Herangehensweise an das Design der Welt war auf der Gamescom (und auf der E3) während der Gameplay-Demo hinter verschlossenen Türen zu sehen. Die Präsentatoren haben auf verschiedene Arten erkundet, welche Unterschiede Stealth-, Kampf- und Hacking-Gameplay bietet.

Durch Varianz im Gameplay und Entscheidungen in den Gesprächen scheint es den Spielern zumindest teilweise möglich zu sein, eine eigene Geschichte in Night City zu verfolgen. Die im Deep Look präsentierte Mission in Pacifica scheint uns jedenfalls reichlich Gelegenheit zu bieten, um unterschiedliche Spielstile zu unterstützen. Wir können unsere Umwelt ausnutzen und beeinflussen, um Gegner direkt anzugreifen oder sie abzulenken und unsichtbar an ihnen vorbeizuschleichen. Wir freuen uns darauf, mit den verschiedenen Werkzeugen zu experimentieren, die CDPR überall für uns aufgebaut hat.

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Es liegt auf der Hand, dass futuristische Technologien und die Art und Weise, wie sie sich auf die Bürger der Zukunft auswirken könnten, einen hohen Stellenwert in Cyberpunk 2077 einnehmen werden - das ist ja auch für Leute ein interessanter und zugleich furchterregender Gedanke, die keinen Alufolienhut benötigen. Genau wie das visuelle Design, das so detailliert überlagert wird, um ein überzeugendes Porträt der Zukunft zu erstellen, basiert diese Technologie auf einem realistischen Ansatz. Obwohl einige dieser spekulativen Erfindungen hoffentlich niemals das Licht der Welt erblicken werden, ist diese Vision der Zukunft vorstellbar und womöglich gar nicht mehr zu weit von uns entfernt.

Dank der handwerklichen Kunst von CDPR und der Vision von Mike Pondsmith ist es dem Studio gelungen, eine Stadt für die Zukunft zu bauen. Dieses Gebiet sieht so aus und sie fühlt sich so an, als wäre sie ein greifbarer Raum und in dem die Spieler voraussichtlich ab dem 16. April 2020 ihre ersten Schritte gehen werden. Abschließend wollten wir deshalb noch einmal erfragen, wie Pondsmiths Werke das polnische Studio inspiriert haben.

"Cyberpunk 2020 steckt so voller Geschichten und Erzählungen, es ist super genial", sagte uns der leitende Konzeptkünstler des Studios. "Und das haben wir wirklich als Inspiration und Ausgangspunkt genommen und einige Referenzen darauf gelegt (wie die Jacken mit den Lichtern darin, es ist eine Art Hinweis darauf). Aber wir haben auch versucht, etwas Neues darauf aufzubauen. Diese vier Stile sind unsere Interpretation seines Cyberpunk 2020, mit der DNA von CD Projekt Red. Es ist eine wirklich gute Inspiration und wir haben versucht, etwas zu erschaffen, das auf einer Linie mit [dem Ausgangsmaterial] liegt, aber dennoch etwas Frisches bietet."

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