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Toy Story 3: Das Videospiel

Toy Story 3: Das Videospiel

Die Toy Story-Reihe hat vor 15 Jahren das Animationskino umgekrempelt und seitdem nicht nachgelassen: Toy Story 3 rockt das Kino, das Publikum und die Kritik in diesem Sommer. Für die Umsetzung als Videospiel lässt das Schlimmes befürchten - wie kann ein Lizenzprodukt ein so hohes Niveau halten? Die Antwort ist simpel: Indem es einfach das Kind im Spieler rauskitzelt. Wir haben Toy Story 3: Das Videospiel getestet und nicht mehr aufgehört zu spielen.

HQ

Ein typischer Sonntagmorgen in der Kindheit: Noch bevor die Eltern wach sind, setzt man sich im Schlafanzug auf den Boden im Kinderzimmer und kippt die Spielzeugkiste aus. Nach einer Stunde steht eine Landschaft im Raum, die auf jegliche erwachsene Logik verzichtet: Cowboys und Astronauten leben friedlich nebeneinander, Plastiksoldaten fahren im Spielzeugauto Kühe durch die Gegend, und sogar die Barbie der kleinen Schwester findet ihren Platz. Alles mehr oder weniger sinnfrei - aber irrsinnig spannend.

Jahrzehnte später: Man sitzt vor dem Bildschirm, macht den Spielzeugkisten-Modus von Toy Story 3: Das Videospiel auf und plötzlich ist genau dieses Kindheitsgefühl wieder da: Avalanche hat in seiner Videospielumsetzung des dritten Toy Story-Films mit dem Modus namens Woodys Roundup ein Kleinod versteckt, das jeden begeistert. Wirklich jeden, der mal ein spielendes Kind war.

Der Spielzeugkisten-Modus ist an einer Ecke des Spielbretts platziert, das als Menü-Bildschirm fungiert. Das Verstecken von Woodys Roundup kann nichts anderes als pures Understatement der Entwickler sein: Fraglos ist die offene Westernstadt der Höhepunkt des Spiels! Einmal drin droht sofort akute Suchtgefahr.

Als Sheriff der ausgedehnten Welt inmitten eines verwinkelten Canyons gibt es jede Menge zu tun. Man muss für Ordnung sorgen und den Bewohnern helfend unter die Arme greifen. Eigentlich wuselt immer irgendwo ein anderes Spielzeug mit Ausrufezeichen über dem Kopf herum - was bedeutet, es hat eine Aufgabe für den Sheriff. Mal sind Slinkys Kühe von der Weide abgehauen und müssen wieder eingefangen werden. Mal heuert Hamm als Bürgermeister den Sheriff an, bei einer T-Shirt-Wahlkampagne mit dem Slogan "We love Hamm!" mitzuhelfen. Und das sind noch die weniger skurrilen Aufträge.

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Toy Story 3: Das Videospiel
Sheriff in Woodys Roundup zu sein, bedeutet positiven Stress. Es gibt immer skurrile Aufträge zu erledigen, jeder Auftrag bringt neue - ein wunderbarer Teufelskreis.

Woodys Roundup artet schnell in Stress aus - aber es ist ausschließlich positiver Stress, dem man sich unbedingt aussetzen will. Diesen einen Auftrag noch! Befeuert wird die Sucht durch die zusätzlichen Bewohner der Stadt, durch neue Gebäude und Gegenstände, die man mit jedem erledigten Auftrag freispielt, und die mit weiteren Aufträgen schon hinter der nächsten Ecke auf einen warten. Ein wunderbarer Teufelskreis! Schon nach wenigen Stunden Spielzeit ist Woodys Roundup so überlaufen, dass man sich eine helfende Hand wünscht - zum Glück kann man den Spielzeugkisten-Modus auch zu zweit spielen.

Die Aufträge werden in einer Auftragsliste geordnet, ansonsten würde man auch schnell den Überblick verlieren. Sein gesammeltes Gold und Geld und den Bonus für jeden erledigten Auftrag wird man im Spielzeugladen los. Ab und zu wird das Spiel von Werbespots und kleinen Filmsequenzen unterbrochen, die einen auf neue Produkte im Spielzeugladen hinweisen oder zeigen, dass am anderen Ende des Canyons gerade der böse Zurg mit seinem Raumschiff gelandet ist. Dann ist klar: Das wird noch ein langer "Arbeitstag".

Jede Kleinigkeit in Woodys Roundup ist ganz offensichtlich mit Hingabe und - was noch wichtiger ist - mit dem ironischen Augenzwinkern gebastelt, das aus dem Kino bekannt ist. Der mittlerweile etablierte Pixar-Humor hat es ohne Abstriche ins Spiel geschafft: Wenn in der Stadt ein neues Haus gebaut wird, sieht man eine eingezäunte Baustelle und hört Bauarbeiter werkeln, schließlich fällt der Bauzaun. Das ist tatsächlich witziger als es klingt. Wer sich die Schleimmaschine gekauft hat, kann die Stadtbewohner mit Schleim bewerfen, der sie schrumpfen oder wachsen lässt. Einfach nur so - oder um sie dann mit der Pict-O-Matic zu fotografieren, was wiederum ein Auftrag ist, der ein bisschen Geld in die Kasse spült. Das Hantieren mit Dynamit, das Anpinseln der Häuser, das Umstyling kleiner Lego-Figuren mit Barock-Perücken - das alles lässt einen immer wieder grinsen. Alles so sinnlos und gerade deswegen so schön.

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Optische Gags an jeder Ecke: Ist ein neues Gebäude gekauft, rückt ein Bautrupp an und werkelt hinter dem Bauzaun.

Natürlich hat Toy Story 3: Das Videospiel auch eine Kampagne. Die ist mit etwa fünf Stunden Spielzeit nicht besonders üppig ausgefallen, und bahnbrechend ist sie auch nicht. Sie orientiert sich überwiegend an den Schauplätzen und der Story des Films. Die vertrauten Figuren haben fast alle ihren Auftritt, mit Ausnahme der Potatoeheads und Ken und Barbie. Dass ausgerechnet die beiden letzten (wohl aus lizenzrechtlichen Gründen) fehlen, ist besonders schade. Waren doch die Anspielungen auf gängige Vorurteile über den Schönling Ken und seine seltsame Modesucht im Film ironisch-witzige Schlüsselszenen.

Trotzdem macht die Kampagne Spaß: Avalanche hatte ein paar gute Ideen zum Leveldesign. Dass die Spielzeuge und damit ich das Kinderzimmer von Andy und den Hauskeller aus ihrer Froschperspektive sehen, wurde für nette Einfälle zum Gameplay benutzt. Sie müssen zusammenarbeiten, um sonst unüberwindliche Hindernisse zu knacken. Zwischen Sheriff Woody, Buzz Lightyear und Cowgirl Jessie, den drei Protagonisten des Spiels, muss ständig gewechselt werden, weil alle drei verschiedene Skills haben und manche Aufgabe nur einer der drei erfüllen kann. Klettern, Springen, Hangeln allein reicht meistens nicht aus, es muss schon intelligent kombiniert werden. Mein persönliches Highlight sind jedoch die Fallschirmsprünge der Plastiksoldaten: Vom Spieler geworfen müssen sie Punktlandungen hinlegen. Kleine eingestreute Minispiele wie dieses machen die Kampagne abwechslungreich und letztlich auch für erwachsene Spieler nie langweilig.

Dass der Titel aber genauso für jüngere Spieler funktioniert, erkennt man an den vielen Rücksetzpunkten an kniffeligen Stellen der Story. Verwunderlich ist in dem Zusammenhang die USK-Beschränkung "Ab 12 Jahren". Dafür gibt es eigentlich keinen ersichtlichen Grund.

Toy Story 3: Das Videospiel
Ein Kinderzimmer aus Spielzeugperspektive - lauter riesige unüberwindliche Hindernisse. Woody, Buzz und Jessie haben unterschiedliche Skills und müssen zusammenarbeiten, um es auf das nächste Regal zu schaffen.

In Sachen Grafik und Animation gerecht beurteilt zu werden, ist für die Umsetzung eines Animationsfilmes als Videospiel immer extrem schwer. Der Vergleich zwischen animierter Kinovorlage und animiertem Spiel drängt sich ja förmlich auf. Und diesen Vergleich kann ein Spiel im Grunde nur verlieren - einfach weil es unter größerem Zeitdruck entwickelt wird, und gleichzeitig die Menge an Figuren, Bewegungen und Hintergründen, die erstellt werden müssen, so viel größer ist.

Bei Toy Story 3: Das Videospiel muss die vorprogrammierte Enttäuschung noch größer sein als sonst, schließlich hat Pixar die Messlatte für Animations-Grafik mit dem Start der Kinoserie 1995 unglaublich hoch gelegt. Mehr noch, eigentlich hatte Pixar damals ein ganz neues Stadion gebaut, in dem sie eine ganz neue Messlatte aufhängten. Die anderen Animationsstudios hatten, um im Bild zu bleiben, lange Zeit einfach keinen Zutritt in das Stadion. Pixar war unangefochten, und hat auch seither grafisch die Messlatte nie gerissen, sondern immer höher gelegt.

Umso erstaunlicher ist, dass das Spiel zum Film mit einer durchaus soliden grafischen Umsetzung aufwartet: Zumindest die Hauptcharaktere Woody, Buzz und Jessie sind vollkommen sie selbst, Mimik und Gestik bis ins Detail getroffen. Die vielen Filmsequenzen in der Kampagne wie auch die kleinen Werbespots in Woodys Roundup sind schick gemacht, dem Filmvorbild vielleicht nicht ebenbürtig, aber nahe dran. Die Spielumgebung sieht überwiegend gut aus und hat einfach Charme. Dass die Grafik manchmal hakt, wenn es zu voll wird in der Cowboystadt, ist verzeihlich. Genauso wie die manchmal sehr schlichten Texturen im Hintergrund. Oder kleine Bugs wie der in Buzz' Videospiel, wo man von ihm zerstampfte Asteroidenteile daran erkennt, dass ihr Gitternetz grün durch die Textur durchscheint. Alles halb so wild, insgesamt von Enttäuschung keine Spur.

Toy Story 3: Das Videospiel
Eine Geschichte, die keiner erwachsenen Logik folgen will - Gott sei Dank! Hier rettet Woody gerade Waisenkinder aus einem fahrenden Zug,

Gleiches gilt für die Steuerung. Dass die wenigen fahrbaren Untersätze, die der Spieler im Spielzeugladen erstehen kann, eher kein realistisches Fahrgefühl aufkommen lassen, darüber muss man nicht reden. Sie machen erstens nur einen kleinen Teil der Spielzeit aus. Und der kleine Junge in uns würde zweitens mit seinem Matchbox-Cabrio auch Canyon-Wände hochfahren, als gäbe es keine physikalischen Kräfte. Trotzdem lässt man das Cabrio lieber stehen und sattelt auf Bullseye auf. Denn Woodys treues Pferd zu reiten, das bringt wirklich Spaß.

Die Gebäude in Woodys Roundup lassen sich leider nur sehr eingeschränkt platzieren. Der Gestaltungsspielraum der eigenen Westernstadt hätte da wirklich ein bisschen größer sein dürfen - zumal man die Häuser selbst sehr kreativ anmalen und aufhübschen kann. Das widerspricht sich ein wenig, ist aber zu verschmerzen.

Was schon eher nervt, ist die mangelnde Abschätzbarkeit bei Sprüngen in der Kampagne. Ich musste Woody zigmal in glühenden Kohlen verbrennen sehen, als ich ihn auf dem fahrenden Güterzug von einer Holzplanke zur nächsten springen lassen sollte. Eigentlich ist das gar kein Steuerungsproblem, die Sprungweite der Figuren ist eher optisch schwammig - man braucht einige Versuche, um vorher abschätzen zu können, wo sie landen. Buzz' Hoover auf dem Rücken wird da regelrecht zur Erlösung, weil man ihm kurz nochmal Schub geben kann, um einen zu kurzen Sprung zu verlängern.

Toy Story 3: Das Videospiel
Buzz Lightyear hat mit Asteroiden in seiner Flugbahn zu kämpfen - und ab und zu auch mit kleinen Grafikschwächen. Was man dem insgesamt gelungenen Spiel allerdings gerne verzeiht.

Die Dialoge zwischen den Spielzeugen sind übrigens im Original so bissig und witzig wie auf der Leinwand - in der deutschen Übersetzung lassen sie naturgemäß nach. Auch da verhält es sich mit Videospielen mal wieder wie mit Kinofilmen.

Von einem Lizenzspiel eines Kinofilms könne man nicht viel erwarten, hört man immer wieder. Das mag auf andere Franchises zutreffen, die lieblos hingerotzt die Geschichte von der Leinwand nacherzählen und ansonsten völlig uninspiriert sind. Über Toy Story 3: Das Videospiel ist hingegen ein anderes Urteil zu fällen: Es hält nicht nur über weite Strecken das optische und kreative Niveau des Films, es nimmt die Figuren und die Geschichte und entwickelt sie für die Bedürfnisse eines fesselnden Action-Adventures weiter.

Um mit den Worten eines Erwachsenen zu sprechen: Die Kampagne ist kurz, aber solide. Der Spielzeugkisten-Modus ist kreativ und spannend. Um mit den Worten des kleinen Jungen im Kinderzimmer zu sprechen: Man durchspielt die Kampagne in Nullkommanix, weil man eigentlich ganz schnell wieder zurück zu Woodys Roundup möchte. Und gar nicht mehr aufhören - gewissermaßen "bis zur Unendlichkeit und noch viel weiter".

08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
Abwechslungsreiche und skurrile Aufträge, bissiger Humor, Film-Charaktere mit Wiedererkennungswert, Liebe zum Detail
-
Kurze Kampagne, schwammige Steuerung bei Sprüngen und Fahrzeugen, eingeschränkte Platzierungs-Optionen von Gebäuden
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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