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Wächter von Mittelerde

Wächter von Mittelerde

Ein Multiplayer-Online-Battle-Arena-Spiel für Konsole? Auf dem Papier klingt es wie ein unmöglich umsetzbares Konzept. Allerdings ist Monolith genau das mit Wächter von Mittelerde gelungen. MOBA für Konsole. Echt jetzt!

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Wir haben wahrscheinlich noch nie Gandalf, Sauron und Aragorn Seite an Seite kämpfen sehen. In Wächter von Mittelerde allerdings passiert genau das regelmäßig. Die meisten Charaktere im Spiel dürften trotzdem Fremde sein, wenn man bisher nur die Filme von Peter Jackson gesehen hat. Zudem schert sich Wächter von Mittelerde nicht um irgendeinen Kanon oder eine Chronologie. Trotzdem setzt sich das Spiel sehr genau mit Tolkiens Herr Der Ringe-Universum auseinander. Es ist eben nur so, dass die Kräfte des Bösen und die guten Jungs hier meist gemeinsame Sache machen.

Wächter von Mittelerde legt seinen Fokus darauf, einfach Spaß zu machen. Es geht um ausgetüftelte Spielmechaniken, da spielt der Inhalt nur die zweite Geige. Das ist auch gut so. Es ist ein MOBA-Spiel oder ein DotA-Klon - je nachdem, wenn man fragt. Diese Genres haben sich in den vergangenen Jahren zunehmender Beliebtheit erfreut. Besonders zu erwähnen sei hier League of Legends, der vermutlich derzeit beliebtesten Vertreter auf dem PC.

Die Wurzeln für das Genre liegen in der Echtzeitstrategie und bei Warcraft III - und auch Games wie Dota 2 oder Heroes of Newerth tummeln sich auf diesem Feld. Es ist eine ziemlich umfangreiche, komplexe Erfahrung. Eigentlich scheint das Genre von Natur aus nur auf einem PC mit Maus und Tastatur so richtig funktionieren zu können.

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Wächter von MittelerdeWächter von Mittelerde
In vielerlei Hinsicht waren die Beschränkungen der Plattform den jeweiligen Entwicklern ganz offenbar sehr nützlich.

Es ist gut, dass Monolith an dieser Stelle ganz anderer Meinung waren. Sie haben versucht, MOBA für die Konsole tauglich zu machen. Was dafür auch nötig war, irgendwie ist es ihnen gelungen. Wächter von Mittelerde zu spielen, ist pure Freude. Es zeigt sich, dass diese Art von Spiel sehr wohl mit einem Controller gespielt werden kann.

Wer mit dem Genre noch nicht vertraut ist, für den haben wir eine kurze Zusammenfassung: Zwei Teams je mit fünf Spielern treten gegeneinander an und versuchen, die gegnerische Basis einzunehmen. Die Karte verfügt über drei "Lanes" beziehungsweise Strecken, wenn man so will. Computer gesteuerte Drohnen, die Creeps, fließen in einem stetigen Fluss auf die gegnerische Basis zu und es liegt an uns, die eigenen Truppen zu verteidigen und feindliche zu besiegen. Nebenbei steigt der Level und wir bekommen so Zugang zu neuen oder besseren Fähigkeiten. Jede Lane verfügt außerdem über einen Verteidigungsturm, den wir erst zerstören müssen, bevor wir die eigentliche Basis wirklich angreifen können.

In vielerlei Hinsicht waren die Beschränkungen der Plattform den jeweiligen Entwicklern ganz offenbar sehr nützlich. Das Original Defence of the Ancients hat seine Wurzeln in Warcraft III und steuert sich ziemlich genau wie ein Echtzeitstrategiespiel mit einer Kombination aus Mausklicks und Tastaturkürzeln. So etwas lässt sich einfach nicht auf einen Controller übertragen. Monolith war daher gezwungen, das ganze Konzept von Grund auf neu zu überdenken und mit etablierten Konventionen des Genres zu brechen. Wächter von Mittelerde wirkt daher sauber, irgendwie entrümpelt und ist zugänglicher als üblich.

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Wächter von Mittelerde
Wächter von Mittelerde wirkt daher sauber, irgendwie entrümpelt und ist zugänglicher.

Der ganz wesentliche Unterschied liegt bei der Steuerung. Wo wir in anderen MOBA-Spielen auf die Positionen und Gegner klicken, wenn wir unseren Charakter steuern, haben wir in Wächter von Mittelerde eine direkte Steuerung über sie. Wir bewegen den Recken mit dem linken Stick und zielen mit dem rechten. Standardattacken sind auf den Schultertasten und Spezialfähigkeiten auf den normalen Tasten. Komplexere Interaktionen wie das Verbessern von Fähigkeiten oder Gebäuden werden ebenso rasch erledigt. Es ist beeindruckend, wie kurz und schmerzlos das alles abgehandelt wird. Ich hatte mich bereits im Sommer auf der Gamescom an der Demo versucht und war sogar so weit gegangen, mich direkt im Anschluss für die Beta von Dota 2 begeistern zu lassen. Die allerdings war durch ihre Steuerung so fernab vom Schuss, dass ich schon bald wieder mit dem Spielen aufgehört habe.

Es gibt ein paar Aspekte, die wahrscheinlich von langjährigen MOBA-Spielern kritisiert werden. Zunächst einmal fehlt so etwas wie der Goldene Schlag, das Last Hitting. In anderen Games ist es so, dass lediglich der Spieler Gold und Erfahrungspunkte bekommt, der den letzten Schlag ausführt. Hier werden alle Spieler belohnt, die sich in der Nähe befinden. Das hat zwei Effekte. Zunächst einmal können wir nicht einfach dazustoßen und unserem Kameraden Erfahrungspunkte stehlen. Ein Risiko, dass raffgierige Teamkollegen den Spielspaß runieren, besteht damit nicht. Außerdem läuft das Aufleveln schneller, damit fällt aber auch die Spielzeit kürzer aus. Üblicherweise dauert ein Match keine 20 Minuten. Ein Match in League of Legends oder Dota 2 dauert dagegen oft zwischen 40 bis 60 Minuten.

Ein weiterer Unterschied ist, dass es keinen Shop in der Basis gibt, in dem wir Gold und Erfahrungspunkte gegen Gegenstände eintauschen können. Damit geht auf jeden Fall ein Teil der Tiefe des Genres verloren. Aber man bedenkt, dass etwa bei Defence of the Ancients über 1000 Sachen im Shop erhältlich sind, wird Wächter von Mittelerde dadurch deutlich straffer und zugänglicher. Außerdem gibt es keine Manakosten, wenn wir Spezialfähigkeiten nutzen. Stattdessen sind sie dadurch beschränkt, dass wir nach dem Einsatz ein bisschen warten müssen, bevor wir sie wieder nutzen können.

Diese Änderungen haben einen großen Einfluss auf die Spielerfahrung, allerdings wirken sie sich nicht auf das Kernkonzept aus. Es bleibt von größter Bedeutung, dass nur gut harmonierende Teams gewinnen. Auch erfahrene Spieler haben immer noch einen klaren Vorteil und können ihr Team zum Sieg führen. Es gibt außerdem ein Levelsystem, mit dem wir Kommandos freischalten. Dabei handelt es sich um Magie, die über alle Charaktere hinweg wirkt. Und es gibt Edelsteine und Relikte, die uns kleine Vorteile verschaffen wie etwa erhöhtes Tempo oder erhöhten Schaden.

Alles in allem gibt es 22 Charaktere, die noch durch herunterladbare Inhalte erweitert werden sollen. Zum Spielstart haben wir nur Zugriff auf eine Handvoll von Charakteren, den Rest müssen wir über Goldmünzen freischalten, die wir uns Spielverlauf verdienen. Dazu gibt es eine wechselnde Auswahl von Charakteren, auf die wir ganz unabhängig davon zugreifen können. Das ist ein hübsches Modell, dass auch jenen etwas Variation ermöglicht, die nicht so viel spielen.

Wächter von Mittelerde
Obwohl das Spiel dank seiner frischen und schlanken Natur etwas von der überwältigenden Komplexität verloren hat, ist das Erlebnis gnadenlos gegenüber Neulingen.

MOBA kann anfangs hart und unversöhnlich wirken. Und obwohl Wächter von Mittelerde dank seiner frischen und schlanken Natur etwas von der überwältigenden Komplexität verloren hat, ist das Erlebnis gnadenlos gegenüber Neulingen. Es dauert Stunden, bis man das erste Match gewinnt. Trotzdem hat man während der ganzen Zeit viel Spaß dabei. Im Kern ist das alles einfach so unterhaltsam, dass selbst verlieren noch Spaß bringt. Wenn dann endlich alle gut genug zusammenarbeiten und gewinnen, fängt man an, das Spiel zu lieben.

Die größte Kritik geht in Richtung Stabilität. Wenn der Host eine schlechte Verbindung hat, gibt es einen sehr empfindlichen Lag im Match. Durch sehr abgehackte Spielszenen kann die ganze Erfahrung ruiniert werden. Erwähnt werden sollte auch, dass wenn ein Spieler mittendrin das Match verlässt, der Rest des Teams keine wirkliche Gewinnchance mehr hat. Das ist aber ein Problem, dass auch andere Vertreter des Genres haben.

Monolith hat außerdem beschlossen, ein alternatives Level hinzuzufügen, in dem es nur eine Lane gibt. Hier geht es weniger um Taktik, sondern es zählen nur unsere Fähigkeiten im Kampf. Ich persönlich mag diese Karte nicht besonders, aber es ist möglich sie auch einfach auszuschließen.

Wächter von Mittelerde ist in der Summe eine ganz erstaunliche Leistung. Die Entwickler haben es geschafft, ein Genre auf die Konsole zu bringen, von dem das nicht für möglich gehalten wurde. Und in einigen Bereichen übertrifft es sogar jene Spiele, von denen es inspiriert wurde. Wenn alles Gute zusammenkommt, wir Teil eines gut funktionierenden Teams sind und die Internetverbindung keine Probleme macht, ist es eine ziemlich süchtig machende Erfahrung. Wer schon immer neugierig war, was sich hinter MOBA verbirgt, sollte sich diesen Titel definitiv genauer ansehen.

08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
unterhaltsam, macht süchtig, präzise Steuerung, passt die Formel an, ohne sie zu verwässern
-
leichter Lag ist spürbar, Level mit einer "Lane" nicht besonders spannend
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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