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WRC: FIA World Rally Championship

WRC: FIA World Rally Championship

Er fährt privat einen Mitsubishi Lancer Evolution IX, er hatte schon mal die Ehre, das Zero-Car bei einer echten Rally zu steuern (und ist dabei glatt vor einem Baum gelandet) und er liebt Rennspiele. Der Mann heißt Petter Hegewall und hat nun endlich WCR 2010 getestet...

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Ich muss zunächst eine wichtige Sache klarstellen: Richard Burns Rally war kein einzigartiger, fantastischer Simulator. Das Spiel war eine äußerst mittelmäßige Simulation des Rallysports, bei der die Fahrphysik und die Bremskraft bis ins Extreme übertrieben wurden, so dass es im Grunde nahezu unmöglich war, das Auto zu beherrschen. Richtiges Rallyfahren ist nicht so schwer, wie es in Richard Burns Rally dargestellt wurde. Eine Tatsache, die auch von vielen WRC-Fahrern bestätigt wurde.

Dies vorangestellt, gedenke ich nun etwas zu behaupten, was viele Simulatorfanatiker vor lauter (übertriebener Wut) aufschreien lassen wird: Mit der richtigen Dosis (und der richtigen Art) des Schraubens an den Einstellungen bietet WRC: FIA World Rally Championship eine wirklichkeitsgetreuere Simulation davon, wie es sich anfühlt, einen Rallywagen zu fahren, als Richard Burns Rally dies je tat. Ja. Richtig gelesen.

Die bedeutet nun aber nicht gleichzeitig, dass es ein einzigartiger, fantastischer Simulator ist. Nein. Es gibt zwar mehrere Dinge, die Entwickler Milestone bei der Simulation eines 360 Pferdestärken starken Rallyautos auf einer Schotterpiste bei 150 km/h sehr gut gelungen sind. Leider gibt es genauso viele Aspekte des Fahrverhaltens und des allgemeinen Fahrgefühls, die ihnen nicht gelungen sind.

WRC: FIA World Rally Championship
Driften in der Wüste, auch das ist nicht ganz ohne, denn wer nur ein bisschen neben die Strecke gerät, wird knallhart ausgebremst.
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Nach dem Start des Spiel muss (und jetzt meine ich wirklich "muss") man sich als allererstes direkt zu den Autoeinstellungen durchklicken und sich ein eigenes Profil anlegen. Aus irgendeinem komischen Grund ist nämlich die Standardeinstellung total daneben und verhindert unter anderem, dass alle, die mit einem Lenkrad spielen, gute Zeiten abliefern können. Das Standard-Set-Up von Milestone verteilt die Kräfte falsch und man sollte auf jeden Fall die Einstellung für das Mitteldifferenzial hochstellen. Danach muss die Bremskraft der Hinterräder verringert werden, damit sich das Auto nicht quer über die Strecke stellt, sobald man auch nur leicht das Bremspedal anpumpt. Auch das Vorderachsdifferenzial sollte ungefähr auf 60 Prozent der Anzeige stellen.

So!

Wer das getan hat, dem bleibt das merkwürdig schwankende Gefühl erspart, das man bei der Standardeinstellung geschenkt bekommt. Denn wenn man WRC: FIA World Rally Championship einfach startet und sich gleich in den Rallywald stürzt, ohne mit den Autoeinstellungen ins Detail zu gehen, ist es beinahe unmöglich, eine ganze Strecke zu überstehen ohne dabei das Auto zu demolieren. Dann fühlt es sich an, als ob man gar keine Bodenhaftung hat, das Auto schwankt und schaukelt und schon bei der kleinsten Berührung zerquetscht die Bremse die Hinterräder. Und dies hat nichts damit zu tun, welcher Schwierigkeitsgrad gerade aktiviert ist.

WRC: FIA World Rally Championship
Die Autos sind hübsch modelliert, die Strecken dagegen eher nicht.
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Wir bei Gamereactor haben Patrik Sandell (Skoda), den zurzeit heißesten SWRC-Fahrer der Welt, auf eine Testrunde mit WRC: FIA World Rally Championship eingeladen. Genau wie ich entschied sich Patrik schnell dafür, die Einstellungen des Autos zu ändern und erklärte mir, während er mit den Menüs rumspielte, dass er in seinem wirklichen Rennfahrerleben sein Mechanikerteam tatsächlich mit den gleichen Änderungen beauftragen würde, wenn sich sein SWRC-Skoda wie das Auto im Spiel aufführen würde.

Gesagt, getan. Von multiplen Wahnsinns-Crashs zu einer perfekt gefahrenen Strecke mit einer neuen Bestzeit. Patrik Sandell hat uns schnell bewiesen, dass es dem Spiel doch gelungen ist, die eigentliche Essenz des Motorsports zu simulieren. Patriks abschließende Worte waren, dass das Fahrgefühl im Spiel zwar noch nicht richtig hinhaut, dass sich sein Auto aber tatsächlich auch in Wirklichkeit so anfühlt wie im Spiel (nach den Änderungen an Differenzial und den Bremsen).

Mit den neuen Einstellungen, einem Playseat und einem Logitech G27-Lenkrad ist es ziemlich einfach, sich mit WRC: FIA World Rally Championship zu vergnügen. Dank dem hohen Schwierigkeitsgrad macht das Ganze vor allem Fanatiker auch schnell süchtig. Es gibt jedoch Probleme, und zwar mehrere, und diese kann ich nicht ignorieren, weil sie Teile des Spielerlebnisses in einem Ausmaße kaputt machen, dass es wirklich nicht mehr zu retten ist.

WRC: FIA World Rally Championship
Bonjour tristesse gilt auf vielen der Strecken, das Fahrverhalten der Autos kommt aber bei guter Einstellung sehr nahe ans echte Rallygefühl heran.

Zuallererst verstehe ich nicht, wieso sie sich bei Milestone dazu entschieden haben, einen jedes Mal mit ordentlichen Geschwindigkeitsverminderungen zu bestrafen, wenn man mit einem oder mehreren Rädern über die Fahrbahnbegrenzung kommt. Bei Rennspielen wie Forza Motorsport 3 oder Gran Turismo 5 stört mich das nicht, aber beim Rallyfahren ist ja gerade das Kurvenschneiden ein wichtiger Aspekt des Sports.

Wenn man sich einen Rallyfahrer anguckt, wen auch immer, egal in welcher Klasse, auf welcher Strecke, in welchem Team, in welchem Auto, mit welcher Fahrtechnik, dann wird dieser sich immer wahnsinnig anstrengen, so viel wie möglich von den Kurven abzukürzen, um eine Linie zu finden, die so gerade wie möglich ist, weil dies Zeit spart. Alle Rallyfahrer schneiden die Kurven. Gerade deswegen sagen die Kartenleser beim richtigen Rallyfahren manchmal auf der Strecke "don't cut", einfach weil man sonst halt immer die Kurven schneidet.

In WRC: FIA World Rally Championship wird aber gerade dies hart bestraft. Und das ist aus vielen Gründen das größte Minus des Spiels. Jedes Mal, wenn man plant, die Innenseite einer Kurve zu schneiden, verlangsamt sich das Fahrzeug und man verliert enorm an Geschwindigkeit. Auch wenn es sich um sagen wir mal etwa fünf Meter frisch gemähten Rasen handelt (wie zum Beispiel in Finnland) und nicht um Morast oder Treibsand.

Ein weiteres Minus ist die Unfähigkeit des Kartenlesers, seine Ansagen in einem zufriedenstellenden Tempo abzuliefern. Klar, man kann in den Einstellungen angeben, ob die Ansagen in schnellem oder normalem Tempo vorgelesen werden sollen, aber was auch immer ich probiert habe, der Kartenleser fühlte sich nie so gut an, dass ich mich voll auf seine Angaben verlassen könnte. Dass er darüber hinaus stark übertreibt und die ganze Zeit Kommentare zum Fahrstil ablässt ("Is this really the best you can do?"), führt dazu, dass ich mich am liebsten auf seine Seite rüberlehnen möchte, um die Tür zu öffnen und ihn rauszubefördern... Niko Bellic-Style.

Das dritte Problem habe ich mit den Strecken. Natürlich gibt es ein paar lustige, aber allzu viele sind einfach nur langweilig. Vor allem Deutschland ist ziemlich öde und auch in Schweden machen die aus Schnee gefrorenen, steinharten Todesbarrieren das Rennen unglaublich nervig. Überhaupt waren Milestone sehr fleißig im Bauen von knallharten Barrieren am Streckenrand und dies bei sehr vielen Strecken. Das führt dazu, dass sich das Rennen häufig eher wie ein Straßenrennen anfühlt und nicht wie Rally.

Und dann ist da noch die Grafik. WRC: FIA World Rally Championship ist nämlich an manchen Stellen wirklich unchristlich hässlich und auch wenn ich im Falle von Rfactor/GTR 2 die schlechte Grafik in Kauf nehme, weil das Spiel eine fantastische Physik hat, funktioniert eine derart nachsichtige Einstellung hier einfach nicht. Die Version für den PC sieht natürlich am besten aus und das Playstation 3-Spiel ist mit Abstand das hässlichste. Aber auch unabhängig von den Unterschieden zwischen den verschiedenen Versionen sind das hier die hässlichsten Rennumgebungen, die mir seit Cruis'n für die Wii untergekommen sind. Die Autos hingegen sind gut modelliert, sie haben einigermaßen nette Lichteffekte und gehen auch auf eine sehr detaillierte und befriedigende Art und Weise kaputt.

Trotz der guten Qualität der Autophysik (dies gilt aber auch nur, wenn die nötigen Änderungen gemacht wurden) gelingt es WRC: FIA World Rally Championship nicht, über längere Zeit zu unterhalten. Die Strecken sind zu langweilig, der Kartenleser zu langsam und die Grafik ist zu primitiv. Dass man darüber hinaus noch nicht einmal die Kurven schneiden darf, um Zeit zu sparen, macht es zu einem äußerst mittelmäßigen Rallyspiel.

(Die ersten 16 Bilder sind aus der Xbox 360-Version. Die nächsten sechs sind aus der Playstation 3-Version und die letzten elf aus der PC-Version).

05 Gamereactor Deutschland
5 / 10
+
Wirklich gute Autophysik, viele Einstellungsmöglichkeiten, viele Strecken
-
Gruselige Grundeinstellung, primitive Grafik, lahmer Onlinemodus, langweilige Strecken
overall score
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